Dimitri sitzt bei seiner Mutter auf dem Schoss am Küchentisch. Ein paar Hörnli vor sich auf dem Teller, noch mehr Hörnli unter sich auf dem Boden. Der Halbjährige zappelt vergnügt. Sein dreijähriger Bruder Vincent sitzt gegenüber, malt bunte Striche auf ein Blatt Papier und singt vor sich hin. Papa räumt schon mal die Pfannen weg, Mama streicht Dimitri über den Kopf und fragt in die Runde: «Machen wir heute Nachmittag einen Spaziergang in die Altstadt?»
Papa Werner Businger (36) nickt. Die Eltern sind sich einig. So ist es meistens – und so war es auch vor drei Jahren, als es um die grosse Frage ging: Wo soll das erste Kind zur Welt kommen? Im Spital oder daheim? Die Option Geburtshaus, das in städtischen Regionen beliebt ist, bestand nicht, da es im Kanton Graubünden kein Geburtshaus gibt. «Wir wollten eine Hausgeburt», erinnert sich Ramona Businger (33). «Das Spital empfanden wir als zu klinisch, als einen Ort, den man wegen einer Krankheit aufsucht, aber nicht wegen etwas so Natürlichem und Schönem wie einer Geburt.» Dann aber stellten sich die Probleme: Die Mietwohnung der Busingers war sehr ringhörig, und Ramona Businger hatte schon bei der Vorstellung, dass das ganze Haus bei der Geburt zuhören würde, Hemmungen. Hinzu kamen die Sorgen von Freunden und Verwandten bezüglich Sicherheit. «Wir liessen uns stark von den älteren Generationen beeinflussen, die gegenüber einer Hausgeburt Bedenken äusserten», erinnert sich Werner Businger. Also kam Vincent im
August 2014 im Spital Chur zur Welt.
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«Wir liessen uns stark von den älteren Generationen beeinflussen.»
Beliebte Spitalgeburten
Das Spital ist heute der mit Abstand häufigste Geburtsort der Schweiz. Das war nicht immer so. Vor noch nicht einmal 50 Jahren war der gängigste Ort fürs Gebären das Daheim. Erst 1970 verzeichnete die Statistik erstmals mehr Spitalgeburten als Hausgeburten in der Schweiz. Heute erblicken etwa 97 Prozent der Neugeborenen im Spital das Licht der Welt. Warum entscheiden sich so viele Eltern für eine Geburt im Spital? Finanzielle Gründe können es nicht sein: Versicherung und Kanton teilen sich die Kosten für Geburt und Wochenbett, ob im Spital, zu Hause oder – sofern es auf einer Spitalliste steht – im Geburtshaus. Franchise und Selbstbehalt entfallen bei Geburten sowieso. Renate Ruckstuhl-Meier, Geburtshaus-Leiterin und Hebamme, kennt das meistgenannte Argument gegen eine Haus- und Geburtshausgeburt: «Eltern gehen immer noch davon aus, dass die Sicherheit im Spital am besten gewährleistet ist.» Dass selbst die WHO das Gegenteil festhält, wüssten die wenigsten.
Eine Nische: das Geburtszimmer
Als Ramona und Werner Businger im Frühling 2017 in freudiger Erwartung ihres zweiten Kindes waren, gab es über das Wo keine Diskussion mehr. In Chur hatte sich inzwischen eine neue Möglichkeit eröffnet: ein liebevoll eingerichtetes Geburtszimmer daheim bei einer Hebamme, gleich gegenüber dem Spital. Die Geburt von Dimitri verlief wie die Schwangerschaft – ohne Komplikationen. Keine drei Stunden nach der Entbindung war die jetzt vierköpfige Familie in ihren eigenen vier Wänden vereint.
Wer im Spital oder Geburtshaus gebärt, kann das Wochenbett dort verbringen. Bei einer Hausgeburt oder in ambulanten Geburtszimmern dagegen entfällt das Angebot des stationären Wochenbetts. Umso mehr freuten sich die Busingers über die Haushaltshilfe, die sie dank ihrer Zusatzversicherung bei ÖKK einmal pro Woche beanspruchen durften. Und sie waren froh über jegliche Hilfe von Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten. «Es entlastet sehr, wenn der Besuch beim Alltag mithilft – zum Beispiel Mittagessen kocht, Wäsche aufhängt oder einen kleinen Einkauf erledigt», sagt Werner Businger.
Massgeschneidert für Eltern
Ob im Spital, im Geburtshaus oder zu Hause: Die Grundversicherung übernimmt die Kosten für Geburt und Geburtshilfe. Bei einer stationären Geburt sind die Kosten in der allgemeinen Spitalabteilung getragen oder der Aufenthalt in einem Geburtshaus gemäss Spitalliste. Für weitere Unterstützung und zusätzliches Wohlbefinden empfiehlt sich insbesondere die Zusatzversicherung ÖKK ELTERN.
Inzwischen ist bei den Busingers das Geschirr gewaschen, der Boden gewischt und das Bild gemalt. Zeit für den Nachmittagsausflug: einen Bummel durch die Churer Altstadt, vielleicht mit Abstecher in den Bikepark oder in diesen herzigen Kinderladen. Und wo würden sie ein allfälliges drittes Kind gebären wollen? «Vorausgesetzt, es sprechen keine medizinischen Gründe dagegen, würden wir wieder den familiären Rahmen des Geburtszimmers wählen», sagt Ramona Businger.
Experteninterview mit Renate Ruckstuhl-Meier
Wie finden Eltern den passenden Ort für die Geburt ihres Kindes? Hebamme Renate Ruckstuhl-Meier weiss Rat.
Frau Ruckstuhl-Meier, worauf gilt es beim Entscheid über den Geburtsort zu achten?
Man sollte wissen, dass eine Geburt ein höchst sensibler, intimer und somit störungsanfälliger Prozess ist. Für eine komplikationsfreie Geburt ist es förderlich, dass sich die Frau geborgen und gut betreut fühlt, denn nur so werden die für einen normalen Geburtsverlauf nötigen Geburtshormone ausgeschüttet.
Ihr Tipp für den Entscheid des Geburtsorts?
Jede Frau muss sich fragen: Welches Umfeld brauche ich, um mich sicher zu fühlen? Schätze ich mehr eine persönliche, nahe Betreuung oder mehr die medizinische Atmosphäre eines Spitals und die Nähe zum Operationssaal und zu den Ärzten?
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«Eine Geburt ist intim und störungsanfällig.»
Von hundert Kindern kommen in der Schweiz nur drei nicht im Spital zur Welt. Woher rührt die Beliebtheit der Spitalgeburten?
Beim Entscheid über den Ort der Geburt ist meist die Sicherheit für Mutter und Kind das Zünglein an der Waage. Und viele Menschen denken, dass eine Geburt im Geburtshaus oder zu Hause weniger sicher sei als im Spital. Dazu gibt es widersprüchliche Studien. Eine englische Studie kam zum Schluss, dass wegen des Infektionsrisikos Spitalgeburten eher unsicherer sind als Geburten zu Hause oder im Geburtshaus. Deshalb empfiehlt die britische Gesundheitsbehörde gesunden Schwangeren eine hebammengeleitete Geburt. In der Schweiz bekannte sich die Politik bei der letzten KVG-Revision zur Sicherheit einer Geburt in Geburtshäusern: Diese wurden 2012 in die Grundversicherung aufgenommen und stehen seither auf den Spitallisten der Kantone.
Und wenn es während der Geburt zu Komplikationen kommt?
Der Vorteil bei einer Geburt im Geburtshaus oder zu Hause ist die Eins-zu-eins-Betreuung – im Spital muss eine Hebamme zum Teil mehrere Geburten gleichzeitig betreuen. Bei einer Eins-zu-eins-Betreuung erkennt die Hebamme Regelabweichungen sofort und kann frühzeitig reagieren. Ich arbeite seit zwölf Jahren im Terra Alta, einem der grössten Geburtshäuser der Schweiz, und für uns alle hat Sicherheit oberste Priorität. Deshalb arbeiten Geburtshäuser eng mit Spitälern und Ärzten zusammen und obliegen genauso wie Spitäler einem Qualitätsmanagement.