Ab ungefähr der 29. Schwangerschaftswoche ist es Zeit, sich mit der bevorstehenden Geburt auseinanderzusetzen. Warum das so wichtig ist, erklärt eine Hebamme der Hirslanden Klinik Aarau.
Andrea Biehler, man könnte meinen, das Schicksal bestimme den Geburtsverlauf. Ist dem tatsächlich so?
Nicht nur. Eltern können das Geschehen positiv beeinflussen, insbesondere die Mutter. Darum ist es so wichtig, sich auf die Geburt vorzubereiten. Denn wer unvorbereitet an das Naturspektakel «Geburt» herangeht, wird wohlmöglich überwältigt oder gar überrollt – und kann dann tatsächlich nur noch wenig ausrichten.
Worum geht es in der Geburtsvorbereitung im Wesentlichen?
Ich vergleiche eine Geburt gerne mit dem Bergsteigen. Das macht auch niemand ohne Vorbereitung. Vorher heisst es: körperliche und mentale Fitness trainieren, Route studieren und Zwischenziele festlegen. All das empfehle ich auch für eine bevorstehende Geburt. Das heisst: Eltern sollen sich über die verschiedenen Phasen einer Geburt informieren, sich über ihre Wünsche und Vorstellungen austauschen und so lange wie möglich aktiv und beweglich bleiben.
Beginnen wir mit dem Wissen: Wie kommen Eltern an seriöse Infos?
Ich empfehle, Informationen aus Büchern und Zeitschriften zu gewinnen und sich mit Fragen lieber einmal zu viel als zu wenig an Fach- und Vertrauenspersonen wie die Frauenärztin oder Hebamme zu wenden. Von Dr. Google und Social-Media-Kanälen rate ich ab. Hier wimmelt es zwar von Erfahrungsberichten. Aber sie sind meist oberflächlich, subjektiv und fachlich fragwürdig. Davon dürfen sich werdende Eltern nicht blenden lassen. Auch Erfahrungsberichte aus dem Freundeskreis sind mit Vorsicht zu geniessen. Denn meist kursiert vor allem Negatives. Ich rate, explizit nach positiven Erlebnissen zu fragen, oder gar nicht.
Sie erwähnen weiter, dass es wichtig ist, trotz Kugelbauch fit zu bleiben.
Eine Hebamme hat einmal gesagt: «Jede Frau soll bis zur Geburt 1000 Kniebeugen machen.» Ich stimme dem Zitat insofern zu, dass fitte Frauen meiner Erfahrung nach das Geburtsgeschehen aktiver beeinflussen können – und somit selbstbestimmter. Ich spreche hier von gemässigtem Sport, nichts, das Mutter oder Kind gefährden könnte. Die mentale Fitness darf dabei nicht zu kurz kommen.
Wie lässt sich der Geist trainieren?
Erstens: Geben Sie den Gedanken an die bevorstehende Geburt Raum. Zweitens: Machen Sie sich auf das Schönste gefasst, nicht auf das Schlimmste. Und drittens: Formulieren Sie ruhig Wünsche und Vorstellungen – aber keine Erwartungen.
Warum warnen Sie vor Erwartungen?
Ich erlebe oft Eltern im Kreissaal, die sich die bevorstehende Geburt exakt ausgemalt haben. Vielleicht, weil sie von Freunden, Verwandten oder Superstars vernommen haben, wie diese die Geburt erlebt haben. Nur, und das kann ich nicht genug betonen: Jede Geburt ist einzigartig. Sie ist kein Event, das sich minutiös planen lässt. Auch mental sind Flexibilität und Offenheit gefragt – gerade dann, wenn die Traumgeburt nicht möglich ist. Wer mit fixen Erwartungen in den Kreissaal kommt, hat viel zu verlieren.
Was?
Nehmen wir als Beispiel eine Mutter mit der Erwartung, das Kind spontan zu gebären. Wenn dann unverhofft ein Kaiserschnitt nötig wird, bricht für die Mutter eine Welt zusammen; sie fühlt sich als Versagerin und sagt sich: «Ich habe es nicht geschafft». Damit verliert sie das Geschenk, etwas Einmaliges mit Stolz und Freude zu erleben: die Geburt ihres Kindes.
Zu guter Letzt empfehlen Sie werdenden Eltern, über ihre Vorstellungen, Wünsche und Ängste zu reden. Warum?
Während der Geburt kann der Mann das Sprachrohr der Frau sein. Diese wird eine Grenzerfahrung erleben. Da ist es wichtig, dass der Mann weiss, was ihre Wünsche und Werte sind. Die Eltern sollen aber nicht nur über die bevorstehende Geburt reden, sondern auch über das noch viel Grössere, was danach kommt: das Familie-Werden und Familie-Sein.
Andrea Tabea Biehler (31) ist seit 2015 Hebamme und arbeitete bis Ende Februar 2022 an der Hirslanden Klinik Aarau.
Was tun, wenn …
Dann soll sie ihm Zeit lassen. Überreden bringt nichts, nur schlechte Stimmung. Stattdessen könnte ein individueller Kurs auf Anklang stossen: Es gibt inzwischen auch Kurse extra für Väter und solche, bei denen die Hebamme zu den werdenden Eltern nach Hause kommt. Ausserdem haben manche Spitäler, zum Beispiel die Hirslanden Klinik Aarau, ein Baby Ambulatorium, wo werdende Eltern individuelle Gespräche angeboten werden. Wenn auch das nichts ist für ihn, soll sie eine Geburtsvorbereitung buchen, die sich allein geniessen lässt, Yoga oder Bauchtanz zum Beispiel.
Dann heisst es: herausfinden, was Freude bereitet. Wer vor der Schwangerschaft Yoga zum Gähnen fand, wird sich vermutlich auch im Schwangerschaftsyoga langweilen. Also: keinem Hype folgen, sondern den persönlichen Bedürfnissen. Und dabei nie in Stress kommen. Denn Kurse vor der Geburt sind kein Muss, sondern einfach eine schöne Gelegenheit, bewusst mit dem Kind in Verbindung zu treten und sich selbst eine Auszeit vom ganz normalen Wahnsinn zu gönnen.
Sie muss wissen: Die Freunde werden Fragen stellen, zum Beispiel «Fruchtblase schon geplatzt?», «Tut’s mega weh?» oder «Und: schon da?». Die Folge: ein endloses Vibrieren im Kreissaal, Stress pur. Darum besser auf voreiliges Updaten verzichten. Oder, noch besser: das Handy ganz tief in die Spitaltasche stecken und erst wieder hervorholen, wenn’s einem danach ist.
Dann wenden sie sich am besten an die Fachperson ihres Vertrauens, also an die Gynäkologin, den Gynäkologen oder die Hebamme. Sie wird sich Zeit nehmen und helfen, Ängste abzubauen. Auch am sogenannten Vorgeburtsgespräch mit der Fachperson sollen Bedenken angesprochen werden.
Kurse zur Geburtsvorbereitung
- Akupunktur Vor der Geburt kann das Setzen von feinen Nadeln wehenfördernd oder schmerzlindernd wirken.
- Aqua-Gymnastik Im Wasser fühlt sich selbst der kugeligste Bauch etwas weniger schwer an.
- Autogenes Training Vermittelt Wege zur Entspannung, die dann auch während der Geburt abgerufen werden können.
- Hypno Birthing Seit einigen Jahren im Trend. Konzept zur mentalen Geburtsvorbereitung mit dem Ziel einer sanften, positiven Geburt. Erfordert intensives Training.
- Geburtsvorbereitungskurs Gibt es inzwischen in allen Variationen: von express über privat bis explizit für Kaiserschnitt. Auch online.
- Massage Selbst in Seitenlage ein Genuss.
- Schwangerschaftsgymnastik Hält den Körper fit.
- Schwangerschaftsyoga Wohltuend; sanftes Training für Körper und Atemtechnik.
- Shiatsu Japanische Akupressur, zur Lösung von Stauungen und Verspannungen.
Geburt: Was hat sich verändert?
Im ÖKK Podcast Allegra spricht Hebamme Corina Gruber mit Moderator Fabio Nay darüber, wie sich die Geburten in den letzten Jahren verändert haben und welche Hilfsmittel und Methoden heutzutage zur Verfügung stehen.