Dos und Don’ts für die erste Velotour mit Kindern: Daniel Morgenthaler von der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) im Interview.
Daniel Morgenthaler, die erste Velotour mit dem Kind macht manchen Eltern Sorgen. Was raten Sie?
Eltern haben keinen Grund, nervös zu sein, solange sie die Route am schwächsten Mitglied der Gruppe anpassen. Also starten sie am besten mit einer kurzen, wenig anspruchsvollen Strecke, zum Beispiel in die nahe Badi. Das Niveau lässt sich dann von Tour zu Tour steigern. So folgt ein Erfolgserlebnis dem anderen. Generell vergessen Eltern oft, dass Ausdauer und körperliche Leistung kaum dem kindlichen Bedürfnis entsprechen.
Was zählt stattdessen?
Das Kind möchte seine Neugier stillen, etwas erleben. Darum sollen Eltern möglichst viele attraktive Zwischenstopps einplanen. Am besten eignen sich velofremde Erlebnisse, zum Beispiel ein Bräteln am Waldrand oder ein Zvieri bei Freunden. Wichtig ist, dass die erste gemeinsame Tour zu einem Erfolgserlebnis für das Kind wird.
Warum?
Wenn beispielsweise die Velotour verkehrstechnisch oder konditionell zu anstrengend wird, ist das Kind überfordert. Überforderung im Strassenverkehr löst oft Stress und unkontrolliertes Fahrverhalten aus. Das kann sowohl für das Kind als auch für andere Verkehrsteilnehmende gefährlich werden. Zudem steht die Freude des Kindes am Velofahren auf dem Spiel.
Wann ist ein Kind bereit für eine erste Velotour mit der Familie?
Die erste gemeinsame Velotour soll auf verkehrsarmen Strassen, durchs Quartier oder über Velowege führen. Und zwar erst, wenn die Eltern vorher mit dem Kind die wesentlichen Fertigkeiten auf dem Velo geübt haben. Dazu gehören das Auf- und Absteigen, Anfahren, Fahren, Bremsen und Gangschalten.
Muss das Kind Strassenschilder kennen?
Es sollte wissen, was bei einem Stop-Schild zu tun ist – nämlich anhalten und mindestens einen Fuss am Boden absetzen. Ansonsten ist es Aufgabe der Erwachsenen, für das Kind den Verkehr zu beobachten, die Situation einzuschätzen und entsprechend zu reagieren.
Erwachsene tragen also auf der Tour von A bis Z die Verantwortung für die Kinder?
Ja, denn das Kind kann mögliche Gefahren unterwegs nicht erkennen, also weder tote Winkel noch plötzlich aufgestossene Autotüren.
Sicher gemeinsam unterwegs
Folgende Regeln sollten Familien vor der Velotour besprechen:
- Wir fahren hintereinander.
- Wir überholen einander nicht.
- Wir informieren die anderen der Gruppe frühzeitig mit Worten oder einem Handzeichen, bevor wir anhalten.
- Wir fahren an einer Kreuzung erst weiter, wenn ein Erwachsener «Los!» sagt.
Seit 2021 dürfen Kinder bis zwölf Jahre auf dem Trottoir fahren, sofern Veloweg und Velostreifen fehlen.
Wer fährt voraus: das Kind oder die Erwachsenen?
Am besten ist, wenn das Kind im Konvoi fahren kann, also zwischen zwei Erwachsenen. Vorne schaut eine Person, welche Verkehrssituation die Gruppe erwartet, sie entscheidet über «Fahren» und «Anhalten». Derweil kann die erwachsene Person am Schluss des Konvois das Kind motivieren und allenfalls dessen Fahrverhalten korrigieren.
Was, wenn nur eine erwachsene Person mit auf der Tour ist: Fährt diese voraus oder hinterher?
Dazu gibt es keine glasklare Empfehlung. Beides hat Vor- und Nachteile. Fährt die erwachsene Person voraus, kann sie dem Kind Vorbild sein und alles vorzeigen. Sie muss sich aber regelmässig umdrehen, um zu sehen, wie es dem Kind geht. Fährt hingegen das Kind voraus, hat die erwachsene Person den Überblick. Sie kann rasch reagieren und später Rückmeldung zum Fahrverhalten geben. Der Nachteil: Der oder die Erwachsene muss dem Kind die Anweisungen zurufen – und sich sicher sein, dass alles richtig verstanden und befolgt wird.
Was braucht im Verkehr am meisten Übung?
Das Linksabbiegen ist ein schwieriges Manöver, ebenso das Kreiselfahren. Letzteres ist übrigens darum so gefährlich, weil die Person im Auto die Person auf dem Velo oft übersieht. Das ist der Grund für 90 Prozent aller Unfälle in Kreiseln. Darum habe ich für Velofahrerinnen und Velofahrer zwei Tipps. Erstens: Nehmen Sie im Kreisel mit der Person im einfahrenden Fahrzeug Augenkontakt auf. Zweitens: Schützen Sie sich nicht nur mit einem Helm, sondern auch mit heller Kleidung und einer Leuchtweste. Statten Sie Ihr Velo und Ihre Ausrüstung mit Reflektoren aus. Kurz: Fallen Sie auf jeden Fall auf.
Diverse Fahrtechnikübungen finden Sie unter
«Kinder auf dem Velo»
Daniel Morgenthaler
Daniel Morgenthaler ist bei der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) Berater Verkehrsverhalten und engagiert sich nebenamtlich als Swiss Cycling Guide.