Definition
Übertraining wird als eine Überlastungsreaktion beschrieben, bei der das Leistungsniveau über längere Zeit abnimmt. Fachpersonen unterscheiden bei der Diagnose «Übertraining» zwischen zwei Zuständen:
Functional Overreaching (FOR): Die körperliche Leistungsfähigkeit nimmt kurzfristig ab, verbessert sich aber nach ausreichender Erholung (Tage bis Wochen).
Non-functional Overreaching (NFOR): Dieser Erschöpfungszustand zwingt aufgrund unzureichender Regeneration zu längeren Pausen (Wochen bis Monate). Die Leistungsfähigkeit verbessert sich nicht, sondern nimmt langfristig ab.
Muskelkater vs. Erschöpfung
«Bei einem schweren Muskelkater klingt die Entzündungsphase nach wenigen Tagen wieder ab, sodass weiterhin Trainingsfortschritte gemacht werden können», erklärt Dr. Matthias Fenzl, Sportwissenschaftler im Medizinischen Zentrum Bad Ragaz.
Die Anzeichen einer Überlastung sind zunächst subtil, können jedoch in chronische Müdigkeit und verminderte Leistungsfähigkeit übergehen. Der Körper schaltet dabei in den Energiesparmodus, um sich selbst zu schützen.
Ursachen
«Übertraining ist auf zu hohe Trainingsumfänge ohne genügende Entlastungszeiten zurückzuführen. Belastung und Erholung sind nicht aufeinander abgestimmt, die Erholungsphasen sind zu kurz oder hohe Trainingsintensitäten folgen zu kurz aufeinander», sagt Dr. Fenzl. Er fügt hinzu, dass auch eine hohe berufliche oder private Belastung verbunden mit intensiven Trainingsumfängen Übertraining fördern kann.
Als Antwort auf Training und Sport folgen natürliche Belastungsreaktionen wie die Ausschüttung von Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol aus der Nebennierenrinde. Diese Stressreaktionen treten auch bei psychischen Problemen oder chronischem Stress auf und können die Erholung verzögern. Ungesunde Ernährung und Schlafmangel verstärken diese Effekte zusätzlich.
Symptome
Die Anzeichen von Übertraining sind oft schwierig zu deuten, dürfen jedoch nicht ignoriert werden. «Die Signale zu Beginn des Übertrainings sind noch subtil und schwer greifbar und werden dadurch oft ignoriert beziehungsweise nicht als solche wahrgenommen», sagt der Experte des Medizinischen Zentrums in Bad Ragaz.
Körperliche Anzeichen von Übertraining
- Leistungseinbruch
- chronische Müdigkeit (ständige Schläfrigkeit, Verspannungen, permanent müde Muskeln)
- Schlafstörungen
- Appetitlosigkeit oder gesteigerter Appetit
- Infektanfälligkeit
Psychische Anzeichen von Übertraining
- Reizbarkeit
- depressive Verstimmung
Gut zu wissen: Eine niedrige Herzfrequenz in Ruhe und ein allgemein, subjektiv gutes Leistungsniveau deuten auf eine gute Erholungsfähigkeit hin.
Zielgruppen
«Sportler*innen mit ambitiöser Zielsetzung und beeindruckenden Leistungen sind häufiger von einem Übertraining betroffen», sagt Matthias Fenzl. Besonders betroffen seien Athlet*innen, die sich lange und intensiv ausbelasten, ohne auf ihre eigene Befindlichkeit zu achten. Dies ist oft bei Sportler*innen der Fall, die sich an fixe Trainingspläne halten und die subjektive Befindlichkeit nicht miteinbeziehen.
Auch genetische Faktoren können laut Fenzl eine Rolle spielen: «Es gibt bestimmte Neurotransmitter, welche die Blut-Hirn-Schranke übertreten können und dazu beitragen, dass mehr Serotonin gebildet wird.» Während ein bestimmter Serotoninspiegel als stimmungsaufhellend gilt, kann ein zu hoher Wert die Leistung mindern.
Prävention
Pausen und Achtsamkeit
In erster Linie sind ausreichende Erholungsphasen (zwischen den einzelnen Trainingseinheiten), aber auch genügend Schlaf und eine gesunde Ernährung wichtig.
Darüber hinaus ist und bleibt das eigene Empfinden einer der sensibelsten Indikatoren, um Überlastungen zu vermeiden.
Ernährung
«Eine Ernährung mit hochwertigen Nahrungsbestandteilen ist essenziell für die Prävention und Erholung von Übertraining», erklärt Matthias Fenzl. Eine ausgewogene Zufuhr von Nährstoffen, insbesondere Proteine, Kohlenhydrate und Fette, sowie ausreichend Vitamine und Mineralstoffe sind entscheidend, um den Körper während intensiver Trainingsphasen zu unterstützen.
Gadgets / Tools
Sportuhren und Gadgets, die infrarotes LED-Licht aussenden und am Handgelenk oder als Ring getragen werden, können wertvolle Informationen zur Regeneration liefern (zum Beispiel Wie erholt sich der Körper im Schlaf?).
Beim Ausdauertraining kann die Herzfrequenz oder die physikalische Leistung gemessen werden (zum Beispiel ein Watt-Messer auf dem Velo). Die Herzfrequenzbereiche können anhand von Feldtests oder auch Leistungstests (zum Beispiel ein Lactatstufentest) objektiv bestimmt werden und geben so gute Anhaltspunkte für die Trainingsabstimmung.
Beim Krafttraining trackt man besser die Intensität der beanspruchten Muskeln über das Gewicht und die Anzahl Wiederholungen und Sätze.
Zusätzlich ist das Training am Ende subjektiv auf einer Skala zwischen 1 und 10 zu bewerten. Neuere Methoden wie das «Velocity Based Training» ermöglichen die muskuläre Belastung zu objektivieren.
Behandlung
«In erster Linie zählt nur eine Trainingspause», betont Dr. Fenzl. «Wie lange diese sein soll, hängt von der Art des Übertrainings ab, unter Umständen kann es aber sehr lange dauern, bis man sich davon erholt.»
In diesem Fall empfiehlt der Experte eine (sport-)medizinische Betreuung.
Auch für leichteren Überbelastung sei eine Pause notwendig, die einige Tage bis zu Wochen dauern könne. Fenzl empfiehlt kalte Ganzkörper-Tauchbäder zwischen zwölf und achtzehn Grad Celsius für fünf bis zehn Minuten als mögliche Massnahme, um die Erholung zu beschleunigen. Der Körper sollte vorgängig gut aufgewärmt sein (zum Beispiel in der Sauna).
Allerdings, so der Spezialist, seien viele passive Regenerationsmethoden nicht evidenzbasiert.
Wettkampfvorbereitung
Vor einem Wettkampf sollte der Körper mindestens zwei bis drei Tage entlastet werden, das heisst allenfalls regenerativ belastet werden. Wer sich gut auf den Wettkampf vorbereitet hat, muss sich in den Tagen vor dem Wettkampf keine Sorgen mehr um die Leistungsfähigkeit machen. Carboloading, Akklimatisation, mentale Vorbereitung und genügend Schlaf sind direkt vor dem Wettkampf wichtiger als intensive Trainingseinheiten.
Dr. Matthias Fenzl
Dr. Matthias Fenzl ist Sportwissenschaftler im Medizinischen Zentrum in Bad Ragaz.