Auf halbem Weg zur Arbeit bin ich mutterseelenallein. Unter mir Wasser, um mich herum Wasser, in mir mein pochendes Herz. Während ich mitten im Zürichsee meinen Kraulschlag unterbreche, um für einen Moment die Ruhe und Weite zu geniessen, stecken in ebendiesem Moment 300'000 Menschen in meiner Heimatstadt im Stau, in der S-Bahn oder im Tram. Wie ich sind sie auf dem Weg zur Arbeit.
Ohne Pendeln geht in der Schweiz nichts. In nicht pandemischen Zeiten pendeln 90 Prozent der berufstätigen Menschen zu ihrem Arbeitsort und wieder nach Hause – durchschnittlich 30 Kilometer pro Tag. Die meisten sind über eine Stunde unterwegs, sei es im Auto (52 Prozent), im ÖV (31 Prozent) oder durch eigene Mannes- oder Frauenkraft.
Pendelspass statt Pendelstress
Erkenntnis Nummer eins: Pendeln braucht viel Zeit – fünf Stunden pro Woche, also zehn Tage pro Jahr. Klar, manche nutzen die Zeit zum Arbeiten oder hören Podcasts. Andere meditieren im Tram. Für viele aber ist der Arbeitsweg verschenkte Zeit oder noch schlimmer: Stress.
Wenn ich pendle, treibe ich immer auch Sport – und gehöre somit zu den Sportpendlerinnen und Sportpendlern. Mein Arbeitsweg hält mich fit und spart auch Zeit, wie diese persönliche Gegenüberstellung von Zeitaufwand und Kalorienverbrauch zeigt:
- Kombination aus Spaziergang (1 km) und Schwimmen (1,6 km):
45 Min. / 550 kcal - Joggen (6 km): 30 Min. / 400 kcal
- Velofahren (6 km): 20 Min. / 250 kcal
- ÖV: 40 Min. / 30 kcal
Fünf Tipps zum Sportpendeln
- Lieber regelmässig und moderat sportpendeln als einmal pro Woche mit Vollgas.
- Planen Sie Ihr Sportpendeln mit einem Serientermin.
- Probieren Sie verschiedene Strecken aus und entscheiden Sie sich für die schönste. Der Weg ist das Ziel.
- Besorgen Sie sich eine wetterfeste Ausrüstung, damit Regen keine Ausrede mehr ist.
- Belohnen Sie sich für Ihre Leistung.
Der Weg als Ziel
Erkenntnis Nummer zwei: In den Augen einer Sportlerin oder eines Sportlers wird Pendelzeit zu Trainingszeit, der Weg zum Ziel. Gerade weil wir ohnehin pendeln müssen, ist das Potenzial des Sportpendelns gross – wie gross, untersucht derzeit eine österreichisch-schweizerische Forschungsgruppe im Forschungsprojekt GISMO (Geographical Information Support for Healthy Mobility). Klar ist: Wer nur einen Teil der durchschnittlich fünf Stunden Pendelzeit und 150 Kilometer Arbeitsweg pro Woche auf dem Velo, zu Fuss oder in Badehose meistert, tut Körper und Geist viel Gutes. Regelmässiger Sport verbrennt Kalorie und beugt Krankheiten wie Diabetes, Herzinfarkt und Krebsarten vor. Durch die erhöhte Blutzirkulation gelangt mehr Sauerstoff ins Gehirn, was mich erfrischt und weckt. Zudem fördert Sport gemäss Studien auch die Konzentration und das räumliche Vorstellungsvermögen. All das kommt mir später bei der Arbeit zugute.
Gewitter auf hoher See
Was ich am Sportpendeln besonders schätze: Ich bestimme – anders als im Auto oder ÖV – selbst meinen Weg und mein Tempo. Oft nehme ich mir vor dem Sprung ins Wasser fünf Minuten Zeit, sitze am See, beobachte die Möwen und denke an nichts. Die Natur ist immer anders, immer für eine Überraschung gut – manchmal auch für böse Überraschungen. Eines Morgens sass ich am Ufer, sah dunkle Wolken aufziehen und die Warnlampe am Schiffsanleger blinkte. Doch die Vorfreude war zu gross und die Aussicht auf eine Busfahrt in Badehose zu lächerlich – also bin ich trotzdem losgeschwommen. Mitten im See erreichte mich das Gewitter. Ich beschleunigte die Schlagfrequenz, doch etwas später war der Regen so heftig, dass ich keinen Meter mehr sah. Ich schwamm orientierungslos im Wasser und hoffte, dass nicht irgendein Boot meinen Weg kreuzen würde. Nach zehn Minuten war der Spuk vorbei und ich schwamm bibbernd zum Ufer. Sportpendeln birgt Risiken: Beim Velofahren sollte man einen Helm, beim Joggen Reflektoren tragen.
Die Fallstricke des Sportpendelns
Nicht alle haben die Möglichkeit zum Sportpendeln. Für manche ist der Weg zu weit oder beschwerlich, und wer als Handwerkerin oder Handwerker direkt von zuhause zum ersten Auftrag fährt, wird dies im eigenen Servicefahrzeug tun. Zudem braucht es die nötige Infrastruktur am Arbeitsplatz. Deshalb sind Duschen ein wichtiger Beitrag zum betrieblichen Gesundheitsmanagements.
Alle anderen Herausforderungen lassen sich meistern. Gegen schlechtes Wetter hilft die richtige Ausrüstung. Hinderlicher ist dann schon eher die Logistik: Wer ins Büro «spörtlet», muss dort zuvor Wechselkleidung bereitlegen. Nicht jeder Geschäftskunde hätte Verständnis, wenn ich ihn in Badehose begrüsste. Am Vorabend kann ich den Computer nicht mit nach Hause nehmen – mein Schwimmsack fasst lediglich ein Paar Flipflops, meinen Büroschlüssel, meine Kreditkarte und mein Handy.
Ein Schoggigipfeli zur Belohnung
Erkenntnis Nummer drei: Sportpendeln ist Zeit für mich, nicht für die Familie, nicht für die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber, nur für mich. Und wenn ich es geschafft habe, dann belohne ich mich mit einem Schoggigipfeli, damit die Kalorien, die ich im See versenkt habe, auch wieder reinkommen. So kann der Arbeitstag beginnen.