An drei Stellen trifft beim Velofahren Mensch auf Maschine: Pedale, Sattel und Lenker. Wie harmonisch dieses Zusammenspiel verläuft, hängt von der ergonomischen Einstellung ab. Christoph Kohler, Texter des ÖKK Kundenmagazins Clever, macht ein Bikefitting im Selbstversuch.
Eine Frage der Einstellung
Fast wären meine Veloferien im Baskenland vorzeitig beendet gewesen. Nach drei Tagen begannen die Schmerzen im Schritt, nach fünf Tagen hatte sich ein Abszess gebildet. Da hatte ich mein Ziel zum Glück geradeso erreicht.
Solche Geschichten kennt Sylvain Fragnière zur Genüge. Der 27-jährige Sportwissenschaftler arbeitet bei «Thömus Diagnostic Lab und Bike Fitting» in Oberried (BE). Sein Job ist es, Velofahrer*innen und Velo zu einem harmonischen Ganzen zu vereinen – durch die richtige Einstellung von Pedalen, Sattel und Lenker.
Bikefitting – am besten präventiv
Im Idealfall kommen die Kund*innen zu Sylvain, bevor sie Beschwerden haben – zum Beispiel mit ihrem neuen Velo. Oft aber sind es Schmerzen, die Velofahrer*innen aller Alters- und Leistungsstufen in sein Labor treiben. Die häufigsten Probleme: Nacken-, Rücken- und Schulterschmerzen, taube Hände und ein wunder Schritt. Letzteres habe ich bereits vor meinem Besuch in Oberried durch ein Selbststudium gelöst: Eine zu hohe Satteleinstellung und ein unpassender Sattel waren die Ursache. «Typisch!», sagt Sylvain.
Viele Velofahrer*innen dächten, je höher der Sattel, desto effizienter das Strampeln. Und noch mehr folgten dem Irrglauben, je weicher der Sattel, desto bequemer. Letztlich brachte mich meine schmerzhafte Erfahrung auf folgenden Gedanken: Wenn ich schon mehrere 1'000 Franken für ein Velo ausgebe und mehrere 1'000 Kilometer jährlich auf dem Velo sitze, dann scheinen 250 Franken für ein perfektes Bikefitting eine kluge zusätzliche Investition. Zumal ÖKK dank meiner Zusatzversicherung die Hälfte der Kosten übernimmt.
So geht Bikefitting
Los geht es mit der Ausmessung des Körpers, der «Anthropometrie». Erkenntnis: Meine Schultern sind zehn Millimeter breiter, meine Beine 19 Millimeter kürzer als im Durchschnitt. Daraus leitet Sylvain Hypothesen für das Bikefitting ab. Nach mir misst Sylvain mein Velo aus und überträgt die Geometrie millimetergenau auf das Bikefitting-Velo. Sogar meinen Sattel schraubt er um. Anschliessend markiert er meine Gelenke mit Sensoren, dann fange ich an zu strampeln. Schon bald zeigen die Sensoren auf dem Monitor, dass die Position meines Knies nicht optimal ist. Sylvain filmt die Bewegung und zeigt auf den vertikalen Infrarotstrahl: Die Linie verpasst die beiden Sensorpunkte an Knie und Schuhplatte. Mit anderen Worten: Meine Kraft geht nicht vertikal in die Pedale, sondern verpufft teilweise seitwärts; das ist nicht nur ineffizient, sondern kann langfristig auch zu Knieschmerzen führen.
Der Aha-Moment
Also kurbelt Sylvain den Sattel vier Millimeter nach unten. Anschliessend verstellt er die Schuhplatten, die mich mit den Pedalen fixieren, um drei Millimeter nach hinten. Als ich erneut in die Pedale trete, ist die Überraschung gross: Mein Tritt fühlt sich sofort runder, effizienter an! Während des eineinhalbstündigen Bikefittings wird Sylvain meinen Sattel um 14 Millimeter nach vorne schieben und den Lenker um zehn Millimeter erhöhen, um meine leicht gekrümmte Rückenhaltung zu korrigieren. Sämtliche Korrekturen überträgt er am Ende auf mein Gravelbike. Die Testfahrt nach Olten wird trotzdem mühsam: Es ist heiss, das Aareufer ist voller Mückenschwärme. Doch eines spüre ich ganz genau: Mein Velo ist jetzt noch ein bisschen mehr mein Velo.