Man liegt wach im Bett oder versucht im Traum vergeblich, die Prüfung zu lösen – doch die Antworten sind wie weggeblasen. Oder kurz vor der Prüfung bringt man vor lauter Nervosität keinen Bissen runter. Ob als Kind, in der Jugend oder im Erwachsenenalter – Menschen aller Altersgruppen können Prüfungsangst haben.
«Viele Menschen leiden jahrelang unter Prüfungsangst, obwohl es für viele Betroffene relativ einfache Lösungen dagegen gibt», weiss der Psychologe und Lerncoach Fabian Grolimund. «Ich erlebe es oft, dass einer Person mit fünf oder sechs Sitzungen Lerncoaching geholfen werden kann, sie davor die Prüfungsangst aber viele Jahre mit sich herumgetragen hat.»
Bei Prüfungsangst denken viele an ein Blackout, bei dem alles aus dem Gedächtnis gelöscht ist und man keine Frage mehr beantworten kann. Doch laut Fabian Grolimund kommt es häufiger vor, dass Leute mit Prüfungsangst sehr gute Leistungen erbringen – und dennoch immer wieder Angst haben, dass es dieses Mal nicht gelingen könnte. «Um Prüfungsangst angehen zu können, sollte man wissen, wovor sich prüfungsängstliche Personen genau fürchten», so der Experte. Oftmals geht es nicht um das Resultat an sich, sondern vielmehr um dessen Bedeutung. Die Betroffenen haben etwa Angst davor, ihr Umfeld zu enttäuschen, schämen sich für weniger gute Leistungen oder haben das Gefühl, eine Versagerin oder ein Versager und bei einer schlechten Note weniger wert zu sein.
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«Viele Menschen leiden jahrelang unter Prüfungsangst, obwohl es für viele Betroffene relativ einfache Lösungen dagegen gibt.»
Hier darf man laut dem Experten nicht vergessen: Misserfolge gehören zum Leben und sie bedeuten noch lange nicht, dass man versagt hat. Einer Person mit Prüfungsangst helfe es deshalb nicht, wenn man sie mit ‹du schaffst das, ich glaube an dich› ermutigt. Vielmehr sollte man Betroffenen gut zureden und ihnen versichern, dass auch ein schlechtes Resultat keinen Einfluss auf die persönliche Beziehung hat. Oftmals hätten Schülerinnen und Schüler bei Lehrkräften, die sie mögen, stärkere Prüfungsangst, da sie diese keinesfalls enttäuschen wollen. Auf positiv gemeinte Aussagen wie ‹von dir hätte ich jetzt mehr erwartet› sollten Lehrpersonen deshalb verzichten und ihren Schülerinnen und Schülern vielmehr aufzeigen, dass Misserfolge dazugehören.
Obwohl viele Menschen trotz Prüfungsangst gute Leistungen erbringen können, gibt es auch jene, welche gut vorbereitet vor der Prüfung sitzen und plötzlich nichts mehr wissen. Ein solches Blackout wird meist durch eine Informationsüberlastung im Gehirn ausgelöst.
«Hygieneregeln» gegen Blackouts
Versucht man beispielsweise am Morgen vor der Prüfung oder in der Stunde davor, sich noch schnell, schnell etwas zu merken, kann das zu einer Informationsüberlastung im Gehirn führen.
Spricht man kurz vor der Prüfung noch mit anderen darüber, führt dies oft zum Gefühl, dass man zu wenig oder das Falsche gelernt hat. Das sollte man vermeiden. Lassen Sie sich nicht verrückt machen.
Personen, die bei Prüfungen schnell in Panik geraten, kann es helfen, nicht gleich die ganze Prüfung anzuschauen. Denn oftmals haben diese Personen bei jeder Aufgabe das Gefühl, dass sie nichts wissen, kommen in ein negatives Gedankenkarussell und können sich nicht mehr auf die einzelnen Fragen konzentrieren. Deshalb empfiehlt es sich, die Aufgaben mit einem leeren Blatt abzudecken und anschliessend eine Aufgabe nach der anderen zu lösen, ohne die anderen anzuschauen.
Wichtig ist, dass man das Blatt umdreht, durchatmet und es nach einer kurzen Pause nochmals versucht. Nicht gleich abgeben und gehen – es ist möglich, sich zu beruhigen und die Aufgaben doch noch lösen zu können.
Um diese Strategien möglichst erfolgreich einsetzen zu können, bietet es sich an, eine Expertin oder einen Experten beizuziehen. «Bei Prüfungsängsten lohnt es sich, ein Lerncoaching zu machen. Sind die Ängste ausgeprägt, empfiehlt es sich, eine (Kinder-)Psychotherapeutin oder einen (Kinder-)Psychotherapeuten aufzusuchen», rät Fabian Grolimund. Gerade Kinder und Jugendliche mit Prüfungsängsten sind meist permanent gestresst, da sie in der Schule viele Prüfungen haben. Nach der Prüfung ist damit meist auch vor der Prüfung – die Abgrenzung der Schule von der Freizeit wird mit der Dauerbelastung sehr schwierig. «Personen mit Prüfungsangst sind meist primär damit beschäftigt, jegliche potenzielle Misserfolge abzuwenden und können sich gar nicht mehr über die Erfolge freuen», schliesst der Fachmann.
Mit Prüfungsangst ist man nicht allein. Viele Menschen machen dieselben Erfahrungen und es gibt auch viele Fachleute, die Sie begleiten können, damit die Schule, die Ausbildung oder das Studium wieder entspannter wird und mehr Freude machen kann.
Fabian Grolimund
Fabian Grolimund ist Psychologe, Lerncoach und Autor (z. B. «Huch, die Angst ist da!», «Clever lernen», «Lotte, träumst du schon wieder?»). Zusammen mit Stefanie Rietzler leitet er die Akademie für Lerncoaching. Kindern und Jugendlichen will er mit seiner Arbeit vermitteln, wie sie sich Inhalte effektiv und selbstständig erarbeiten können und so gerne lernen.