Endlich hat Mama ja gesagt; Eline darf das Snickers essen. Sogar noch vor dem Abendessen. Die damals Dreijährige schaut den Schokoriegel ein letztes Mal sehnsüchtig an, beisst hinein – und legt ihn weg. Doch keine Lust.
Nur eine Bronchitis
Keine zehn Minuten später plagen Eline ein grosser Durst und ein Kratzen im Hals. Beim Abendessen kriegt sie keinen Bissen runter, ein Ausschlag juckt sie am ganzen Körper. Bald hustet Eline stark und sie atmet angestrengt. Vielleicht eine Bronchitis, vermuten Valery und Patrick Beer, die Eltern. Tags darauf geht es Eline besser, die Beers lassen ihre Tochter dennoch untersuchen. Denn seit Eline letzte Nacht auch noch erbrechen musste, hegen sie einen Verdacht – den die Allergologin bestätigt: Eline hat keine Bronchitis, sondern eine Erdnussallergie. Und die ist bei Kindern einer der häufigsten Auslöser für eine Anaphylaxie, einen allergischen Schock.
Schon kleinste Mengen
Botanisch gesehen sind Erdnüsse Hülsenfrüchte, keine Nüsse. Sie enthalten besonders viele Allergene. Diese sogenannten Speicherproteine lassen sich selbst durch Erhitzen und Magensäure nicht zerstören. Sie können in jeder Form – von roh über geröstet bis gekocht – und schon in kleinsten Mengen allergische Reaktionen auslösen, im schlimmsten Fall einen lebensbedrohlichen allergischen Schock.
Jede Reaktion ist anders
Valery und Patrick Beer wissen, dass die Lage ihrer Tochter ernst ist, todernst. Wie heftig eine weitere Reaktion bei Eline verlaufen würde, ist ungewiss. Ein allergischer Verlauf hängt immer von vielen Faktoren ab, zum Beispiel von der aufgenommenen Menge Allergene, von weiteren Allergien, Infekten, körperlicher Aktivität, Alkoholkonsum und – bei Frauen – vom Zyklus. Die Beers führen Gespräche mit Expert*innen, lesen Fachbücher, vernetzen sich in Foren und lassen sich bei aha! Allergiezentrum Schweiz beraten und schulen (siehe Interview auf Seite 7). Auch Elines Bruder Noé wird zum kleinen Beschützer. Er schlägt Alarm, wenn irgendwo auf dem Pausenplatz Erdnüsse herumliegen, deren Krümel oder Schalen. Nur: Oft und immer öfter befindet sich Eline nicht im Kreis der Familie, sondern in Obhut der Grosseltern, Kindergartenlehrpersonen und Eltern von Gspänli. Alle wollen helfen. Doch die Frage bleibt, ob sie penibel darauf achten werden, dass Eline keine Erdnüsse isst, nicht einmal berührt. Und werden sie im Notfall richtig handeln? Das heisst: aus dem Notfallset, das Eline fortan bei sich trägt, sofort den Adrenalin-Pen holen und diesen ohne Zögern setzen (siehe Box «Handeln, nicht zögern»). Die Beers klären auf und schulen den richtigen Umgang mit der Fertigspritze. Wer sich das Spritzen nicht zutraut, darf Eline nicht allein betreuen. Zu viel steht auf dem Spiel: Elines Leben.
Grosse Hoffnung, grosse Sorgen
Im Mai 2021 hören die Beers von einer neuen Therapie aus den USA. Es handelt sich um eine orale Desensibilisierung – die erste Immuntherapie für Erdnussallergien –, bei der den Betroffenen Erdnussproteine verabreicht werden, zuerst Spuren, dann kontinuierlich grössere Dosen. Ob die sogenannte Palforzia-Therapie dereinst auch in der Schweiz zugelassen wird?
Die Hoffnung von Valery und Patrick Beer ist gross. Noch grösser ist ihr Kummer um Eline. Es ist Dezember 2021, und die Allgegenwärtigkeit der Spanischen Nüssli setzen Eline zu. Das einst so fröhliche Kind zieht sich mehr und mehr zurück. «Eline hatte Schuldgefühle», erinnert sich Valery Beer. «Sie meinte, etwas falsch gemacht zu haben und darum keine Erdnüsse essen zu dürfen. Das brach mir das Herz.»
ÖKK zur Seite
Viele Gespräche, Bilderbücher zum Thema und die Bekanntschaft mit anderen Kindern mit schweren Allergien geben Eline wieder Halt. Und dann kommt der Tag, an dem die Palforzia-Therapie auch in der Schweiz zugelassen wird. Die Beers reagieren umgehend und klopfen bei ÖKK an. ÖKK prüft den Antrag und bewilligt ihn. «Wir sind erleichtert und dankbar, dass uns ÖKK grünes Licht gegeben hat – und dann noch so unkompliziert und rasch», sagt Patrick Beer. Seither fahren die Beers alle zwei Wochen mit Eline aus dem Bernbiet nach Zürich in die Allergologie, um die Dosis anzupassen. Ganz verschwinden wird die Allergie nie. Wahrscheinlich wird Eline im Flugzeug in die Ferien immer die mitgebrachte Fertigsuppe essen, nie das Bordmenü. Sie wird die Murmeltiere im Streichelzoo mit Karotten füttern, nie mit Erdnüssen. Und sie wird sich auf Schulreisen mit Dar-Vida stärken, nie, nie, nie mit Snickers. Aber eines Tages wird sich Elines Körper ein ganz kleines bisschen an Erdnüsse gewöhnt haben. Und das wird reichen, damit ein Notfall nicht mehr todernst ist, sondern nur noch ernst.
Handeln, nicht zögern
Schwere Allergiker*innen tragen ein ärztlich verschriebenes Notfallset mit einem Antiallergikum, Kortisontabletten und einer Adrenalin-Fertigspritze bei sich. Die Spritze muss bei starken Allergiesymptomen wie Atemnot oder Kreislaufproblemen umgehend in die Aussenseite des Oberschenkels appliziert werden. Das Adrenalin stabilisiert den Kreislauf und öffnet die Bronchien. Wenn die betroffene Person nicht mehr handlungsfähig ist, ist das beherzte Helfen von Dritten gefragt. Dann heisst es: Fertigspritze applizieren, Ambulanz rufen – Leben retten.