«Langlauf ist nicht nur ein gelenkschonender Sport an der frischen Luft, er hat auch ein geringes Verletzungsrisiko.» Das sagt die Sportwissenschaftlerin und ehemalige Elite-Langläuferin Karin Camenisch. Sie kennt sich mit dem menschlichen Körper bestens aus – und mit Langlauf. Dieser Sport verlange vollen Körper- und Muskeleinsatz, was ihn mitunter zu einem der gesündesten Sportarten mache und unser Immunsystem stärke. Er wirke sich positiv auf den Blutdruck, die Blutfettwerte und den Blutzuckerspiegel aus und beuge zudem Rückenbeschwerden vor. «Es gilt allerdings ein paar Regeln zu beachten, um die gewünschte Wirkung für unseren Körper zu erzielen.»
Die Leiterin Leistungsdiagnostik des Kompetenzzentrums Zels im Spital Thusis berät jede*n, von Sportanfänger*innen bis zu Profisportler*innen, rund ums Thema «gesund und effektiv Sport treiben». Camenisch verrät Tipps, wie gesund Langlaufen geht, was vermieden werden soll und wann sie zu einem medizinischen Check-up rät.
«Bei Unsicherheit: Check-up im Leistungszentrum.»
Gute Vorbereitung ist die halbe Miete
Die Langlaufsaison beginnt laut Karin Camenisch Ende Sommer, wenn wir unseren Körper auf den Wintersport vorbereiten: Dehnen und Trockenübungen fürs Gleichgewicht sowie für die Stossbewegungen, welche Beine und Füsse belasten. Unser Körper brauche Vorlaufzeit, um in einen gesunden Trainingsmodus zu kommen und sich an gewisse Bewegungen zu gewöhnen. «Wir reden von ein paar Minuten pro Tag für die Stabilitätsübungen – vor dem Fernseher, auf der Arbeit am Stehtisch oder beim Kochen.»
Wer den Sommer über nicht sportiv unterwegs war, tue sich gut daran, jetzt mit dem regelmässigen Training für den Konditionsaufbau zu beginnen. Solchen Personen empfiehlt die Sportwissenschaftlerin zudem einen medizinischen Check-up. «Dieser lohnt sich vor allem, wenn familiäre Vorbelastungen für eine Herz-Kreislauferkrankung vorliegen.» Die Untersuchungen werden jeweils individuell auf die Person abgestimmt. «Aus den Tests sprechen wir Empfehlungen zum Puls und zu geeigneten Trainingseinheiten aus, um die körpereigenen Grenzen kennenzulernen.» Auf Wunsch werde die Beratung vertieft und ein Trainingsplan zusammengestellt.
«Jeder Körper ist individuell und hat seine persönliche Vorgeschichte, kein Tipp ist pauschal.»
Trainieren wir zu lange und zu oft im falschen Pulsbereich, können wir unseren Körper überfordern. «Unser Herz muss dieses Fehltraining kompensieren und übermässig für die ausreichende Sauerstoff- und Blutzufuhr zu den Muskeln arbeiten.» Camenisch warnt: «Eine dauerhafte Überanstrengung kann zu körperlichen Beschwerden und Verletzungen führen.» Ein Tipp zur Steuerung der Intensität für das Ausdauertraining: «Geschwindigkeit so anpassen, dass Reden ohne Unterbrüche und in ganzen Sätzen noch möglich ist.»
Mit der richtigen Ausrüstung unterwegs
Ohne geht es nicht: Ski, Schuh und Stock. Unpassendes Material, das von Freunden ausgeliehen oder in einem Webshop ergattert wurde, kann zu Verspannungen und Muskelschmerzen führen. Welches ist der richtige Ski für meine Statur und mein Level? «Gehen Sie in ein Sportgeschäft und lassen Sie sich von geschultem Personal beraten. Das kann nämlich kein Internetshop.» Erkundigen Sie sich ungeniert nach Testmaterial, das nach einem Probelauf ausgetauscht werden kann. Bei Anfänger*innen empfiehlt es sich gar, mit Mietmaterial einzusteigen. Verbessert sich Ihr Können, kann das Material stetig angepasst werden.
Skating oder Klassisch? Ausprobieren!
Wer jung ist, legt sich sofort auf die Technik Skating fest: schneller, dynamischer, sportlicher. Die Frage der Technik habe aber auch mit gesundheitlichen Aspekten zu tun: «Skating wirkt durch die seitliche Abstossbewegung Druck auf Fussgelenk und Knie aus.» Wer verheilte Verletzungen habe, wie beispielsweise einen Kreuzbandriss, sollte sich langsam herantasten, allenfalls sogar mit Unterstützung einer Physiotherapie. Ungeachtet von der Wahl der Technik: «Langlauf verlangt vollen Körpereinsatz und ist eine effektive Sportart für unsere Muskeln.»
Kleidung und Atmung
Frische Luft ist gut für unser Immunsystem. Bei eisigen Temperaturen sollten jedoch Vorkehrungen getroffen werden. «Atmen Sie die trockene, kalte Luft durch einen Schlauchschal ein und schützen Sie so Ihre Bronchien. Sie verhindern damit deren Reizung und Entzündung.» Kalt haben sei grundsätzlich nicht schädlich, es sollte jedoch nicht provoziert werden. Tragen Sie also der Kälte angepasste Funktionskleidung, die atmungsaktiv ist und für einen guten Wärmehaushalt sorgt. Übrigens: «Mit einer Flasche Tee in Ihrer Hüfttasche sorgen Sie jederzeit für ein inneres Warm-up bei einer kurzen Verschnaufpause.» Bei Schneefall ist dringend anzuraten, eine Mütze, statt einem Stirnband zu tragen. «Der Kopf ist unser grösstes Wärmeleck.» Ist Ihre Bekleidung und Langlaufausrüstung vollständig, kann es losgehen.
Auf die Ski, fertig, los …!
Erinnern Sie sich an Ihre Turnstunden in der Schule? Der Lehrer gibt Anweisungen zum Hampelmann, ab in die Hocke und im Slalom die imaginäre Piste hinunter. «Wecken Sie die Muskeln und ölen Sie Ihre Gelenke mit einem sanften Einwärmen, bevor Sie richtig loslegen», rät die Sportwissenschaftlerin. Aufgewärmte Muskeln seien weniger anfällig auf Verletzungen. Das Training soll sanft gestartet und das Tempo auf Kondition und Können abgestimmt sein. Ein*e Langlauflehrer*in zeigt Ihnen, wie die Bewegungen gelenk- und muskelschonend ausgeführt werden – gleiten Sie über die Loipe, anstatt zu kraxeln.
«Wer sich keine Grenzen setzt, setzt seine Gesundheit aufs Spiel.»
Wie nach jedem Sport, sollte auch nach dem Langlauftraining gedehnt werden. Zunächst sei es aber wichtig, die verschwitze Kleidung abzulegen und heiss zu duschen. Die Muskeln seien noch immer warm genug, um sie jetzt sorgfältig zu strecken. Zu vermeiden ist der Après-Drink in der Menschenmenge. «Unser Immunsystem ist in den ersten 30 Minuten nach dem Sport besonders anfällig auf Viren und Bakterien.»
Die Pfeiler für Ihr gesundes Training – Regelmässigkeit und Ruhephasen
Stimmen Gesundheit und Ausrüstung, fehlt noch der Trainingsplan. «Setzen Sie sich klare Ziele wie oft pro Woche Sie langlaufen möchten.» Aber nicht nur das Training soll regelmässig sein, gönnen Sie Ihrem Körper Ruhephasen. «Erkennen und akzeptieren Sie Ihre Grenzen. Bei einem Übertraining überfordern und schwächen Sie Ihren Körper». Ein Thema, das der Leistungsdiagnostikerin regelmässig im Berufsalltag begegnet. Es gebe zwar Faustregeln zum passenden Puls und Anzahl Trainingseinheiten, diese träfen aber nur auf wenige Prozent der Sporttreibenden zu.
«So individuell wir Menschen sind, so unterschiedlich ist unser Sportplan.»
Für Sporteinsteigende empfehle sich eine langsame Gewöhnung an die neue Belastung. Vor allem auch, um Bänder und Sehnen zu schonen. Das Training soll immer individuell an das jeweilige Niveau angepasst sein. Es gilt: regelmässiges Training mit Akzeptanz seiner Grenzen. Camenischs Zauberworte für ein gesundes und nachhaltiges Training, das auf jeden angewendet werden kann: regelmässige Regenerationsphasen.
Abschliessend verrät uns Karin Camenisch ihr Geheimrezept für erfolgreichen Langlaufsport: «Vergessen Sie niemals den Spass am Sport. Denn nur mit Freude bleiben Sie auf den Langlaufski aktiv und sorgen dafür, dass Sie bis ins hohe Alter fit und gesund bleiben.»
Karin Camenisch
Die Sportwissenschaftlerin ist Leiterin der Leistungsdiagnostik vom Zels im Spital Thusis. Nach Ihrer Matura absolvierte sie in den USA den Bachelor und Master in «Exercise Sciences». Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz studierte sie Sport Management. Als ehemaliges Mitglied im Rossignol Elite Team USA sowie der Schweizer Juniorennationalmannschaft holte sie sich Profierfahrung in der Praxis.