Mentaltrainerin Tina Dyck begleitet die verschiedensten Personen: Leute, die im beruflichen oder privaten Alltag Unterstützung suchen, Schulkinder sowie Leistungssportlerinnen und -sportler, darunter auch Spieler des HC Davos. Ein offenes Gespräch über Nutzen, Chancen und Grenzen des Mentaltrainings.
Kraft- und Ausdauertraining, Ernährungsberatung, Massage, Physiotherapie, Muskelaufbau: Auf dem Trainingsplan eines Profis steht so einiges. Wie viel macht das mentale Training aus?
Tina Dyck: Wenn das Mentaltraining individuell zugeschnitten und aufgebaut ist, dauert es pro Tag fünf bis sieben Minuten. Es ist ein minimaler Prozentsatz im Vergleich zu körperlichen Trainings – jedoch mit maximalem Effekt. Gerade im Profisport entscheidet oft nicht nur das Können, sondern meist der Kopf. Es geht darum, wer mit Fehlern und Druck umgehen und die eigenen Emotionen gewinnbringend einsetzen kann. Die Macht des Mentalen ist überdimensional, nicht nur im Sport. Es ist bezeichnend, welche Auswirkungen die mentale Resilienz auf Effizienz, Wohlbefinden am Arbeitsplatz, Konzentrationsfähigkeit und letztendlich Gesundheit hat. Ganz gleich ob als Musiker, Politiker, Manager oder eine ganz individuelle Person, die meint, den Herausforderungen des privaten und beruflichen Lebens nicht mehr gewachsen zu sein.
Sie arbeiten seit mehreren Jahren unter anderem im Nachwuchsbereich des HC Davos. In welchem Alter kommt das Puzzleteil «mentales Training» ins Spiel?
Beim HC Davos arbeite ich mit den Teams U15, U17 und U20. Mentales Training beginnt im Idealfall aber schon früher. Meine Kolleginnen und Kollegen von ‘Mental Drive’ und ich arbeiten in drei Bereichen: Leistungssport, Business und Schule. In der Schule beginnen wir im Alter von acht Jahren mit mentalem Training, im Leistungssport mit Zehnjährigen. Je früher wir anfangen, Aufklärungsarbeit zu leisten, desto selbstverständlicher wird das Mentaltraining in der späteren Laufbahn.
Haben denn bereits achtjährige Kinder ein Mentaltraining nötig?
Leider ja. Kinder kämpfen mit Angstzuständen, Verzweiflung, Hilflosigkeit, Prüfungsangst oder Mobbing. Das sind Bereiche, wo Druck entsteht und mentales Training helfen kann. Wir gehen spielerisch und altersgerecht vor, mit viel Witz, Storytelling und Beispielen. Es geht vor allem darum, zu verstehen, dass wir unser Verhalten, unsere Gefühle und unser Denken kontrollieren können. Diese Kernaussage des Mentaltrainings bleibt immer gleich, egal in welcher Disziplin, in welchem Beruf oder in welchem Alter.
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«Es geht vor allem darum, zu verstehen, dass wir unser Verhalten, unsere Gefühle und unser Denken kontrollieren können.»
Welche Rolle spielen die Eltern?
Ich habe immer wieder Fälle, in denen Druck durch die Eltern entsteht, ohne dass diese das wollen. Beim HCD arbeite ich im Bereich der unter 15-Jährigen deshalb eher mit den Eltern. Hier haben wir einen Bedarf erkannt, dem wir nun noch besser nachkommen werden.
Inwiefern?
Der HCD hat intern ein grosses Projekt beschlossen: ein Wohnheim für angehende Eishockeyprofis. Es ist ein ganzheitliches Konzept. Die Idee ist, dass die körperliche, mentale und soziale Entwicklung der Athletinnen und Athleten immer im Zusammenspiel mit schulischen und sportlichen Aspekten betrachtet wird. Zum Konzept gehört auch eine Person, die ein bewusstes Bindeglied zwischen Eltern, Schule und Trainern sein wird. Es ist toll, dass CEO Marc Gianola, General Manager Jan Alston und Nachwuchschef René Müller den Bedarf erkannt haben und schnell reagieren.
Und nach der Zeit als Nachwuchsspieler? Treten Sie in der Profikarriere noch in Erscheinung?
Es gibt einige Spieler, die ich als Junioren begleiten durfte und nun in einer ersten Mannschaft spielen – nicht nur beim HCD. Diese Entwicklung zu sehen, ist sehr spannend. Zu unseren Kunden zählen aber ja nicht nur Nachwuchsspieler, sondern auch erfahrene Profis, die erst im Verlauf ihrer Karriere auf Mentaltraining aufmerksam wurden und eine Zusammenarbeit mit uns anfangen. Grundsätzlich wollen wir im Mentaltraining immer bei allen unseren Kundinnen und Kunden eine hohe Selbstständigkeit erreichen. Wenn aber Bedarf besteht, sind wir da. Oft geschieht das auch aus meiner Initiative heraus. Wenn ich weiss, dass ein Kunde zum Beispiel vor einer neuen Herausforderung steht, frage ich nach, ob ich in irgendeiner Form unterstützen kann.
Mentaltrainerin ist also ein Rund-um-die-Uhr-Job?
Die Personen, die sich für einen solchen Beruf entscheiden, machen das, weil sie diesen Weg sowieso leben. Das bringt mit sich, dass wir schwer abschalten können. Wir beschäftigen uns daher auch sehr bewusst mit unseren eigenen Strukturen, mit Erreichbarkeit, Regeneration und Burn-out-Profilaxe. Dinge, die ausserhalb meines Kompetenzbereichs liegen, gebe ich gezielt an andere Profis ab – auch weil das Wohl der Kundin oder des Kunden Priorität hat.
Zum Beispiel?
Wenn ich merke, dass jemand zum Beispiel suizidgefährdet ist, bin ich die falsche Person. Für mich ist in solchen Fällen wichtig, dass ich psychologische Fachpersonen vermittle und alle Themen bewusst anspreche. Auch wenn dies schwierige Gespräche sein können, so sind diese sehr wichtig, um der Person so schnell wie möglich einen Ausweg zu ermöglichen. Wir haben viele Kundinnen und Kunden, die nicht aus den Bereichen Leistungssport, Business oder Schule kommen. Und da merke ich, dass gerade im Jugendalter Panikattacken, Burn-outs und Depressionen zugenommen haben.
Ist das eine Entwicklung, die auf die Corona-Situation zurückzuführen ist?
Corona hat sicher einen Einfluss. Es ist eine generell höhere Unzufriedenheit, Aggression und Hilflosigkeit in der Gesellschaft zu spüren. Es kommen Personen zu mir, die nicht mehr gut schlafen, dünnhäutig oder gereizt sind, weil sie zum Beispiel ihre Arbeitsstelle oder ein Familienmitglied verloren haben oder im Job unglücklich sind. Es sind Menschen, die sich eine neue Lebensqualität wünschen.
Oft wird in diesen Situationen eine psychologische Beratung empfohlen. Wann gehe ich zum Mentaltrainer und wann zur Psychologin?
Es gibt hier keine richtige oder falsche Entscheidung. Entscheiden Sie sich für eine Person, bei der Sie sich wohl fühlen. Wenn Ihnen diese Person Wege aus Ihrer Situation zeigen kann, ist sie richtig.
Bildquelle: © Maurice Parée
Mentaltrainerin Tina Dyck
Tina Dyck ist seit vielen Jahren im internationalen Leistungssport aktiv, zunächst als Dressur- und Springreiterin und seit zwanzig Jahren als Trainerin. Als Mentaltrainerin ist sie seit 2016 in verschiedenen Bereichen tätig: Sie unterstützt Athlet/-innen, Politiker/-innen, Manager/-innen oder Musiker/-innen durch ihre persönlichen Herausforderungen. Tina Dyck ist Geschäftspartnerin der Firma Mental Drive, die neben Mentaltrainings in den Bereichen Sport, Schule und Business auch Ernährungsberatungen und Smart-Reading Kurse anbietet.