Wer Chefarzt Jan Vontobel gegenübersitzt, ist sich über sein eigenes Krankheitsbild meist bereits im Klaren: Diagnose «Herz-Kreislauf-Erkrankung». Zu seinen Patient*innen zählen etwa Personen mit einem angeborenen Herzfehler, nach einem Herzinfarkt, Erwachsene und Jugendliche mit Fettleibigkeit oder Raucher*innen. Zudem leidet ein Grossteil seiner Patient*innen bereits an einer schweren Herzinsuffizienz, auf die sich die Hochgebirgsklinik Davos zusätzlich spezialisiert hat. Die Aufgabe des Kardiologen der Hochgebirgsklinik besteht nicht einzig darin, die Krankheit zu behandeln. Er zeigt Möglichkeiten auf, wie es sich mit dieser leben lässt. Eine davon ist Sport, etwa auf der Herzloipe in Davos, eine von schweizweit 17 Herzloipen.
Mit aufgeschlossenem Blick, wachen Augen und freundlichem Lächeln sitzt er seinen Patient*innen gegenüber. Direkt an ihrer Seite: Ein scheinbar unüberwindbar grosser Berg voller Arbeit. Beladen mit offenen Fragen, einer grossen Portion Unsicherheit und erdrückender Lustlosigkeit. «Ein wichtiger Aspekt unserer Rehabilitation ist deshalb, Stress abzubauen und Freude zu schenken». Sport stehe auf dem Therapieplan somit weit oben. «Als ich meine Stelle in der Klinik vor ein paar Jahren antrat, initiierte ich umgehend die Realisierung einer Herzloipe in Davos».
«Wieso den Lift nehmen, wenn eine Treppe zur Verfügung steht?»
Die Herzloipe ist für alle da
Die Herzloipen entstanden in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Herzstiftung und sind so konzeptioniert, dass der Streckenverlauf einfach und übersichtlich ist, sowie keine grosse Steigung beinhaltet. Die Loipen eignen sich speziell für Sportbeginner*innen sowie Personen mit einer geschwächten Kondition. Vontobel ist selbst oft auf der Loipe in Davos anzutreffen und weiss, wie gesund der Langlaufsport ist. Aus diesem Antrieb heraus meldete er sich vor über fünf Jahren bei der Schweizerischen Herzstiftung und bewirkte in einem einfachen Verfahren, dass Davos zu einer Herzloipe kam. «Für mich war die Initiierung der Herzloipe ein wichtiges Anliegen, weil sie wichtig für meine Patient*innen ist».
Die antidepressiv wirkende Sonne und die Naturkulisse spielen dem Langlaufen in die Hände: «Das Aufbautraining in den Innenräumen der Klinik sei unabdingbar. Unser Körper reagiert jedoch nicht nur auf die körperliche Betätigung, sondern auch auf das visuelle und ganzheitliche Landschaftsbild», sagt Vontobel. Nach dem Konditionsaufbau gehe es also so bald wie mögliche nach draussen. «Unsere Patient*innen stehen nicht alleine da, wir erklimmen den Berg gemeinsam».
Zudem: Bei der Herzloipe Davos sei das Personal vom Langlaufzentrum für den Ernstfall in Reanimation mit dem Defibrillator geschult. Auch seien Ärzt*innen und Rettungssanitäter*innen bei Notfällen schnell vor Ort.
Herzloipen in der Schweiz
Die Schweiz bietet bereits über 17 Herzloipen an, auf denen ein sanftes Langlauftraining möglich ist. Aktuelle Informationen über die Standorte, zu den Langlaufzentren und den Zustand der Loipen sind auf der Seite von Loipen Schweiz zu finden.
«Wer sich gesund ernähren will, kocht seine Mahlzeit selbst.»
Umstellung alter Gewohnheiten
Nebst dem Faktor Bewegungsmangel, wird eine Herz-Kreislauf-Erkrankung begünstigt durch Bluthochdruck und gestörte Cholesterinwerte aufgrund ungesunder und mangelhafter Ernährung. Aber auch durch Schädigung der Organe, zum Beispiel durch das Rauchen. «Aufgrund der Diagnose erhalten meine Patient*innen eine neue Sichtweise auf ihr Leben», erzählt Vontobel. Die Entwöhnung von ungesunden Angewohnheiten – keine einfache Aufgabe. «Erkrankungen gilt es zu therapieren und zu heilen oder zumindest zu stoppen». Es ginge dabei auch um den präventiven Gedanken ‹gar nicht erst herzkrank werden›. Personen, die von einer familiären Vorerkrankung oder angeborenen Anomalie betroffen seien, könnten diese nicht präventiv verhindern, jedoch mit einem gesunden Lebensstil positiv beeinflussen.
Was die Therapie anspruchsvoller werden lässt, sei das Umfeld. Denn auch dieses müsse mit der Situation umgehen und sich womöglich an das neue Leben anpassen. Sei dies als Motivator zum Sport oder die Akzeptanz der Umstellung vom Menüplan am Familientisch: «Die Angehörigen werden als Unterstützende bei der Therapie im Alltag miteinbezogen».
Bei den einen Herzerkrankungen lässt es sich mit wenigen Anpassungen im Tagesablauf gut leben, andere bedürfen einer Änderung des Lebenswandels um 180 Grad und werden somit zur Lebensaufgabe. Die Hochgebirgsklinik Davos begleitet Patient*innen auf ihrem Weg zur Heilung oder dem Umgang mit der Krankheit. Die Klinik ist in mehreren Fachbereichen als Rehazentrum für Kinder und Erwachsene bekannt.
«Langlauf: nicht nur ein ergiebiger Sport für den Körper, sondern auch für unsere Psyche.»
Von unsportlich zu sportlich aktiv
«Wir zeigen unseren Patient*innen, wie Bewegung gut tut – auch bei schwerer Erkrankung – und stellen für sie einen Trainingsplan zusammen». Ziel des Trainings sei, die Personen während der Reha für die positiven Auswirkungen von Sport zu sensibilisieren, sodass sie diesen nach Entlassung nachhaltig weiterbetreiben. Langlauf sei der ideale Sport für ein dosiertes und ganzheitliches Training über die Wintermonate. Im Vordergrund stehe dabei die klassische Technik. Gerade für ältere Leute und schwer erkrankte Patient*innen sei es die ideale Möglichkeit, sich gelenk- und pulsschonend zu bewegen.
Anhand der Herzloipe zeigen Vontobel und sein Team den Patient*innen auf, dass noch sehr viel möglich sei und nehmen ihnen damit die Angst vor dem Sport. Vontobel macht es glücklich zu sehen, dass er mit dem Langlauftraining Personen ermutigen kann, auf längere Sicht Sport zu treiben.
Schöne Momente der Zusammenarbeit
Jedes Jahr organisiert die Kardiologie der Hochgebirgsklinik ein Treffen für ehemalige Patient*innen und deren Ärzt*innen auf der Loipe. «Wenn Patient*innen auf der Herzloipe stehen und zusammen mit ihren ehemaligen Ärzt*innen Langlaufen, haben wir definitiv etwas richtig gemacht. Dieser Anblick ist bewegend», sagt Vontobel strahlend.
Das fördere nicht nur den Kontakt zwischen den Menschen, es sei auch der Moment, in dem die Patient*innen etwas zurück geben können. «In diesen Augenblicken bin ich besonders stolz auf meine ehemaligen Patient*innen. Es zeigt mir, dass sie sich und ihre Möglichkeiten nicht aufgegeben haben und noch immer oben auf dem Berg stehen», sagt Vontobel abschliessend.
Dr. med. J. Vontobel
Dr. med. J. Vontobel ist ärztlicher Direktor und Chefarzt Kardiologie an der Hochgebirgsklinik Davos. Nach seinem Medizinstudium an den Universitäten Zürich und Lausanne sowie der Duke University (USA) war Vontobel in verschiedenen medizinischen Fachbereichen tätig. Er spezialisierte sich auf dem Gebiet Allgemeine Innere Medizin mit Schwerpunkt Herzinsuffizienz.