«Eine gute Balance zwischen Schule und Freizeit ist wichtig, damit Kinder motiviert bleiben und nicht zu stark belastet werden», hält der Psychologe und Lerncoach Fabian Grolimund fest. Bei seiner Arbeit beobachtet er, dass viele Kinder unter Druck stehen. «Gerade verträumte Kinder, die ein langsames Arbeitstempo haben und leicht ablenkbar sind, sitzen meist lange an den Hausaufgaben. Entsprechend haben sie auch weniger Freizeit.»
Konzentration lässt sich üben
In diesen Fällen ist es besonders wertvoll, bewusstes Fokussieren zu trainieren. Einigen Leuten fällt das schwerer als anderen. Dies hat neurologische Gründe, wie Fabian Grolimund erklärt: «Wir können unsere Aufmerksamkeit bündeln und auf etwas Bestimmtes in unserer Umgebung – beispielsweise ein Arbeitsblatt – lenken. In diesem Fall ist die sogenannte ‹exekutive Kontrolle› aktiv, eine Hirnstruktur im vorderen Teil des Gehirns. Verträumte Kinder hingegen machen oft das Gegenteil – sie richten ihre Aufmerksamkeit nach innen. Dabei ist eine Hirnstruktur aktiv, die sich ‹Ruhenetzwerk› nennt.» Laut dem Experten haben gewisse Kinder ein überaktives ‹Ruhenetzwerk› und eine unteraktive ‹exekutive Kontrolle›. Die Folge: Sie landen in ihren Tagträumen.
Um diese Kinder möglichst gut zu unterstützen, empfiehlt Fabian Grolimund zwei Grundsätze: Gestehen Sie dem Kind das Träumen ein Stück weit zu und schaffen Sie möglichst günstige Bedingungen, in welchen Sie mit dem Kind das bewusste Fokussieren üben. «Träumen darf sein und ist wichtig. Kinder brauchen genügend Phasen am Tag, in denen es kein Programm gibt und sie träumen dürfen.» Damit diesen Zeiten genügend Platz eingeräumt werden kann, dürften die Hausaufgaben, das Lernen und das Freizeitprogramm nicht ausufern. Sind die Träum- und Lernphasen in einem guten Verhältnis, lasse sich auch das bewusste Konzentrieren besser üben. Fabian Grolimund empfiehlt folgende Tipps fürs Konzentrationstraining:
Besprechen Sie mit Ihrem Kind, was es in der vereinbarten Zeit erledigen soll und setzen Sie einen Timer. Gewissen Kindern kann es helfen, wenn eine Uhr verwendet wird, bei welcher man sieht, wie viel Zeit noch bleibt. Beginnen Sie mit kurzen Zeiteinheiten. Das ist für das Kind einfacher und führt eher zu Erfolgserlebnissen. Lässt sich Ihr Kind ablenken, pausieren Sie den Timer und klären mit dem Kind, ob es eine Pause braucht.
Verträumte Kinder haben oft Mühe, vom Träumen aufs Fokussieren umzuschalten. Mit Wenn-Dann-Plänen können sie sich selbst das Kommando geben, umzuschalten. Also etwa, wenn die Lehrperson ein Arbeitsblatt austeilt, dann lese ich es durch und löse die Aufgaben.
Gemäss Fabian Grolimund ist es für Kinder wichtig, dass ihre Bezugspersonen ihnen eine positive Rückmeldung geben, wenn sie es schaffen, sich zu konzentrieren. So lernen Kinder, wie es sich anfühlt, fokussiert zu sein. Ausserdem stärkt es die Motivation und den Glauben an sich selbst, wenn die Kinder merken, dass sie sich konzentrieren können und ihre Bezugspersonen ihren Einsatz wertschätzen. Werden Kinder ständig darauf hingewiesen, dass sie häufig träumen, glauben sie irgendwann, sie seien überhaupt nicht in der Lage, sich zu fokussieren. Entsprechend bemühen sie sich immer weniger darum, es zu üben.
Quote
«Träumen darf sein und ist wichtig. Kinder brauchen genügend Phasen am Tag, in denen es kein Programm gibt und sie träumen dürfen.»
Motivation fördern
Geht es um Motivation, hält der Experte fest: «Grundsätzlich haben wir alle psychologische Grundbedürfnisse, die wir decken wollen. Geschieht dies nicht, wirkt sich das negativ auf unsere Motivation aus.» Die vier psychologischen Grundbedürfnisse sind gute Beziehungen, einen gesunden Selbstwert, Selbstbestimmung und Kompetenz sowie das Bedürfnis, Dinge zu tun, die uns interessieren und auf die wir Lust haben. Laut dem Fachmann werden diese Bedürfnisse gerade bei schulisch schwächeren Schülerinnen und Schülern oftmals nicht erfüllt. Hat ein Kind etwa ständig das Gefühl, langsamer zu sein als die anderen, kann das Selbstwertgefühl leiden. Tut ein Kind viel für die Schule und die Noten verbessern sich dennoch nicht, fehlt das Gefühl, etwas bewirken zu können. Zu solchen frustrierenden Situationen kann beim gemeinsamen Lernen noch Streit mit den Eltern dazukommen. Damit gewinnt das Kind wiederum den Eindruck, dass das Lernen der Beziehung zu den Eltern schadet.
«Oft besteht die Erwartung, dass Kinder auch unter diesen Bedingungen motiviert weiterlernen. Dies, obwohl die meisten Erwachsenen nicht mehr motiviert wären», kommentiert Fabian Grolimund. Er beobachtet auch, dass Kinder das Fach, welches ihnen Mühe bereitet, häufig scheinbar nicht wichtig finden. Für ihn ist das ein natürlicher Schutz des Selbstwerts. «Es ist einfacher, in etwas nicht so gut zu sein, das einem scheinbar unwichtig ist. Das tut weniger weh.»
Um zu vermeiden, dass die psychologischen Grundbedürfnisse Ihres Kindes unter dem Schulstress leiden, empfiehlt der Psychologe:
Kinder sollten keine Angst davor haben müssen, dass ihre Noten einen Einfluss auf die Beziehung zu ihren Eltern oder anderen Bezugspersonen haben. Sie können Ihrem Kind diese Furcht nehmen, indem Sie ihm Wertschätzung entgegenbringen – egal, wie gut oder schnell es lernt.
Gibt sich das Kind Mühe, ist es wichtig, ihm dies rückzumelden. Zeigen Sie ihm, dass Sie sehen, wie es sich einsetzt und Fortschritte macht – selbst wenn sich das vielleicht (noch) nicht in den Noten widerspiegelt.
Damit das Lernen konzentrierter und motivierter klappt, darf die gesunde Balance nicht vergessen gehen, wie Fabian Grolimund zusammenfasst: «Das Lernen und die Hausaufgaben sollen auf eine bestimmte Zeit begrenzt werden, in der man sich darum kümmert, sich informiert und herausfindet, was dem Kind am besten hilft. Doch es muss auch bewusst Zeit für ausserschulische Interessen geschaffen werden. Denn diese Interessen sind bei vielen auch für die berufliche Zukunft mitentscheidend.»
Fabian Grolimund
Fabian Grolimund ist Psychologe, Lerncoach und Autor. Zusammen mit Stefanie Rietzler leitet er die Akademie für Lerncoaching. Kindern und Jugendlichen will er mit seiner Arbeit vermitteln, wie sie sich Inhalte effektiv und selbstständig erarbeiten können und so gerne lernen. Mit dem Buch «Lotte, träumst du schon wieder?» geben Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund verträumten Kindern Tipps mit auf den Weg, wie sie sich besser konzentrieren lernen, weniger vergessen und ihren Stärken auf die Spur kommen.