Bestimmt erinnern auch Sie sich an Ihr erstes Velo: Die knallige Farbe, das Velofähnchen, das coole Design oder das Gefühl von Freiheit bei der ersten Fahrt – Bilder und Emotionen, die tief in uns verankert sind. Beim Kauf eines Kindervelos gibt es aber einiges mehr zu beachten als die Wahl der richtigen Farbe. Veloexperte Thomas Binggeli gibt Tipps für die Anschaffung.
Thomas Binggeli, erinnern Sie sich an Ihr erstes Velo? Wie sah es aus?
Klar! Mein erstes Velo war knallrot, schon damals meine Lieblingsfarbe. Noch wichtiger als die Farbe, war aber das Gefühl, welches damit verbunden war. Mein Bewegungsradius war auf einen Schlag viel grösser und die Nachbarskinder auf einmal viel näher. Man könnte sagen, das Velo hat mir den Weg in die Welt geöffnet.
Wann ist ein Kind bereit für das erste Velo?
Wenn das Kind die Balance auf dem Velo halten, bremsen, steuern und in die Pedale treten kann, ist es grundsätzlich bereit fürs Velo. Das Balancieren und Steuern lernen Kinder am besten mit dem Laufrad. Ab rund drei Jahren kann dann das erste Velo zum Einsatz kommen – und hier gilt: Weniger ist mehr. Das erste Velo braucht keinen grossen Schnickschnack, sondern sollte eher ein paar wichtige Kriterien erfüllen.
Welche Kriterien sollte das erste Velo denn erfüllen?
Es muss gute Bremsen haben, die in die Kinderhände passen, nicht zu schwer sein und die richtige Grösse haben. Je nach Gelände, in dem man fährt, sind breitere Reifen von Vorteil. Eine Federung oder mehrere Gänge sind jedoch nicht nötig.
Wie wird die richtige Grösse fürs Kindervelo ermittelt?
Das Kind muss mit den Fussspitzen den Boden berühren können, wenn es auf dem Sattel sitzt. Ausserdem sollte es sich nicht zu stark nach vorne beugen müssen, um den Lenker zu halten Bei Kindervelos kann man sich an der Zollgrösse orientieren. Diese gibt an, wie gross der Durchmesser der Radfelge ist. Je nach Alter und Grösse ist diese unterschiedlich anzusetzen. Die meisten Kinder starten mit einem 14 bis 16 Zoll-Rad (Körpergrösse 1.05 bis 1.20 Meter). Ab vier bis sechs Jahre kommt das 20 Zoll-Rad (Körpergrösse 1.20 bis 1.35 Meter) und anschliessend das 24 Zoll-Rad bis zu einem Alter von rund acht Jahren (Körpergrösse 1.35 bis 1.55 Meter). Ein Kind, das grösser als 1.55 Meter ist, kann ein 26 Zoll-Rad oder ein Velo für Erwachsene fahren.
Macht es Sinn, ein Kind ins Velo «hineinwachsen» zu lassen, damit nicht mit jedem Wachstumsschub ein neues gekauft werden muss?
Nein, das ist nicht empfehlenswert. Ich würde darauf achten, dass das Velo immer die passende Grösse hat. Ein qualitativ gutes Velo muss nicht zwangsläufig teuer sein. Eine Occasion zu kaufen ist auch eine gute Alternative– dafür in der richtigen Grösse. Im Velohandel funktioniert der Secondhand-Markt sehr gut. Es gibt auch Velos, die mitwachsen. Bei diesen kann man den Vorbau verlängern oder die Bremsen anpassen.
Sie erwähnten eingangs, dass das erste Velo nur einen Gang braucht. Wann ändert sich das?
Fährt ein Kind ein 20 Zoll-Rad, ist es auch bereit, um mit einer Gangschaltung umzugehen. Da genügen acht Gänge. Später kann man dann auf neun bis elf Gänge ausweiten. In beiden Fällen geht der Trend aber klar dahin, dass das Velo vorne nur einen Kranz hat, damit sich das Kind auf einen Ganghebel konzentrieren kann. Weiter ist bei der Wahl der Gangschaltung natürlich auch entscheidend, in welcher Umgebung sich das Kind bewegt. In der Fläche werden weniger Gänge benötigt als in den Bergen.
Ab wann macht eine Federung beim Kindervelo Sinn?
Ab dem 24 Zoll-Rad ist eine Federung durchaus sinnvoll. Davor sind die Kinder meistens zu leicht, um die Federgabel überhaupt zu aktivieren. Die Dämpfung erfolgt dann besser über einen breiteren Pneu.
Ihr Tipp an Eltern, wenn Sie im Velogeschäft sind?
Lassen Sie sich nicht blenden, von Sachen oder Features, die es eigentlich gar nicht braucht –wie beispielsweise von einer Federgabel, die einem kleinen Kind noch nichts bringt. Sie tun gut daran, wenn Sie die Komplexität reduzieren und stattdessen auf eine passende Geometrie und ein leichtes Gewicht achten.
Zusammen mit dem Velo muss auch ein Helm gekauft werden. Was gilt es bei der Helm-Wahl zu beachten?
Fast alle Helme sind geprüft und somit gut. Der grösste Fehler, der beim Helm-Kauf gemacht werden kann, ist, ihn zu gross zu kaufen. Der Helm muss auf den Kopf passen; alles andere ist sekundär. Angenehm sind Lüftungslöcher, die mit einem Netz versehen sind, das die Insekten fernhält.
Mit der Auswahl des richtigen Velos ist das Velofahren noch nicht gelernt. Welchen Tipp haben Sie hier für Eltern?
Bevor es aufs Velo geht, sollten Sie nochmals überprüfen, ob der Sattel auf der richtigen Höhe ist und das Velo nicht zu fest gepumpt ist (Dämpfung). Dann üben Sie mit Ihren Kindern in einem Gelände, in dem sie auch mal umfallen dürfen. So holen sich die Kinder die Erfahrung und damit auch die Sicherheit – Übung macht den Meister!
Thomas Binggeli
Thomas Binggeli wagte den Schritt vom Fahrradhändler zum Fahrradentwickler und hat sich dadurch ein wahres Veloimperium aufgebaut. Der Berner Unternehmer ist auch Initiant des Swiss Bike Park in Oberried. Der 30’000 m2 grosse Park mit Pumptracks, Jumplines, Trails, Drops und vielem mehr steht als attraktiver Begegnungs- und Präventionsort für die gesamte Bevölkerung unentgeltlich zur Verfügung.