Der Aufstrich zum Sauerteigbrot scheint verdächtig. Wie Leberpaste sieht er aus, etwas leichter und frischer im Geschmack zwar, aber dennoch eindeutig: Leber. Und das in einem vegetarischen Restaurant!
Valeria Luengo Erbin (36), Verantwortliche Food & Beverages im Riders Hotel in Laax, lacht. Der selbstgemachte Aufstrich basiere auf Sonnenblumenkernen und Miso, einer japanischen Sojabohnenpaste. Von wegen Leber! «Wir verzichten in unserer Küche bewusst auf Fleisch», erklärt die gebürtige Argentinierin. Sie selbst ernähre sich seit vier Jahren vegetarisch. Allerdings hat Luengo Erbin gemeinsam mit ihrem Chefkoch Pascal Bertschinger (30) den Ehrgeiz, auch Fleischliebhaber*innen im Riders Restaurant glücklich zu machen. Mit dem Sonnenblumenkernen-Miso-Aufstrich gelingt das bereits hervorragend.
Kleine Teller gegen Foodwaste
Pascal Bertschinger nimmt eine Hand voll Kartoffeln aus dem Mehrwegbehälter und drückt sie zum Würzen mit einem Tablett flach, bis deren Schale aufspringt. Im Innern schimmern sie dunkelviolett. Wie gesagt: Gekocht wird hier vegetarisch oder vegan. Immerhin ein Drittel der konsumbedingten Umweltbelastungen geht aufs Konto unseres Essens, schätzt der WWF Schweiz. Dabei benötigen vegetarische Speisen 25 und vegane Speisen 40 Prozent weniger CO2-Äquivalente als ein Schweizer Durchschnittsgericht. Bertschingers spärliche Küchenabfälle landen – ebenso wie Essensreste – in einer blauen Abfalltonne und werden zu Biogas verarbeitet. Der Clou aber ist das «Foodwaste-Management-System»: Ein Sensor wiegt, fotografiert und analysiert automatisch die Essensreste. Diese Daten sind die Basis für ein aktives Foodwaste-Management. «Als wir feststellten, dass viele Gäste am Frühstücksbuffet ihre Teller überfüllten, schafften wir einfach kleinere Teller an», erzählt Luengo Erbin. Ausserdem verzichte man bewusst auf Gerichte «à la carte». Früher haben zu viele Lebensmittel ungenutzt das Ablaufdatum überschritten und landeten deshalb im Abfall. Stattdessen werden nun wöchentlich wechselnde Drei-Gänge- oder Fünf-Gänge-Menüs serviert, wobei pro Gang zwei bis drei Speisen zur Auswahl stehen. Resultat: Im Riders Restaurant landen im Schnitt nur 55 Gramm Essensreste pro Person und Tag im Abfall – elf Gramm weniger als im nationalen Gastronomiedurchschnitt.
Ausgewogene Ernährung, die schmeckt
Schmeckt denn die Nachhaltigkeit auch? Bertschingers Aufgabe ist es, die Vision eines umfassenden ökologischen Gleichgewichts auch im Gaumen der Gäste umzusetzen: als ausgewogene Speisen, die geschmacklich perfekt ausbalanciert sind. Höchste Zeit, nach dem Entrée einen der Hauptgänge zu probieren Die violetten Bergkartoffeln schmecken tiefgründig, süsslich, ein bisschen wie Marroni. Der Bauer, der die Kartoffeln im Albulatal anbaut, verzichte auf künstliche Bewässerung, erklärt Bertschinger. Daher fielen die Kartoffeln und die Ernte kleiner aus – zugunsten eines intensiveren Geschmacks. Zusammen mit einem dunklen Röstzwiebeljus bilden sie die füllende Grundlage des Gerichts. Den säuerlichen Frischekick als Ausgleich liefern gepickelte, rote Zwiebeln. Auch in der Textur des Gerichts gelingt Bertschinger ein überraschender Balanceakt: Pürierten, cremigen Kürbis kombiniert er mit Dukka, einer knusprigen orientalischen Mischung aus gemahlenen Baum- und Haselnüssen, Kürbiskernen, Sesam, Fenchel, Anis, Pfeffer und anderen Gewürzen. Abgerundet wird das Gericht mit einer über Heu geräucherten Mandelcreme. Vielleicht ist das eine Definition von Kochkunst – dass sie in unserem Gaumen Gegensätze zulässt, die sich am Ende in Harmonie vereinen.
Kundenmagazin Clever 2/2024
Dieser Beitrag erschien im Kundenmagazin Clever. Entdecken Sie noch weitere Beiträge zum Thema Gleichgewicht. Zum Beispiel die Infografik, die zeigt, wie unser Gleichgewichtssinn funktioniert.