Ellis Gottfried sass am Küchentisch daheim in Ossingen und legte die Hand auf ihren kugelrunden Bauch. Es war der 13. März 2020, ihr 39. Geburtstag, und Ellis Gottfried war glücklich: wegen der Glückwünsche ihrer Freunde, des kuchenverschmierten Gesichts ihres Zweijährigen Louie, des Strampelns in ihrem Bauch. Noch gut drei Wochen, dann sollte sie ihr zweites Kind gebären. Ellis Gottfried gab Louie einen Kuss, da klingelte das Telefon.
Lockdown zum Geburtstag
Es war ihr Mann, Fabian Knecht. Ob sie es schon gehört habe, fragte er. Der Bundesrat habe soeben einen Lockdown verkündet. Ellis Gottfried schluckte. Was bedeutete das für ihre Schwangerschaft – für die Geburt? Würden die Spitäler bald übervoll sein mit Corona-Patienten? Dürfte ihr Mann überhaupt mit ins Spital, um sie während der Geburt zu unterstützen? Anstelle von Glück spürte Ellis Gottfried plötzlich Sorgen. Dann aber atmete sie tief durch, streichelte ihren Bauch und fasste einen Entschluss: Nichts sollte ihre Vorfreude auf das Baby trüben, auch nicht Corona.
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«Die Restriktionen hatten für uns auch positive Seiten.»
Im kleinen Rahmen
Die Familie Gottfried-Knecht zog sich zurück. In Ruhe. Kein Besuch mehr, keine Termine. Die letzte Vorsorgeuntersuchung hatte die Gynäkologin abgesagt, Geburtsvorbereitungskurse fanden keine statt. Bald erfuhren sie auch die Regeln im Spital: Väter dürfen bei der Geburt anwesend sein, müssen aber eine Stunde danach nach Hause. Ihre Besuchszeit ist während des Wochenbetts auf täglich eine Stunde begrenzt – und immerzu gilt eine Maskenpflicht. Gäste sind im Spital nicht erlaubt.
In guter Hoffnung
Selbst wenn am Babyfachmarkt «Geschlossen» steht und Yogastunden sowie Elternkurse ausfallen – werdende Eltern können sich dennoch auf ihr Baby vorbereiten. Andrea Weber-Käser, Geschäftsführerin des Schweizerischen Hebammenverbandes, sagt: «Wer seinen Weg geht, sich nicht von Schauermärchen anderer verängstigen lässt und sich Zeit für innere Ruhe gönnt, kann sich auf sein Kind einstimmen, auch wenn die Welt kopfsteht.» Werdende Eltern dürften eines nie vergessen, sagt Andrea Weber-Käser: «Sie sind in guter Hoffnung! Das ist, was zählt.»
In der Nacht auf den 12. April ging es los: Ellis Gottfrieds Fruchtblase platzte. 15 Stunden später erblickte Malou im Kantonsspital Schaffhausen das Licht der Welt, 3’410 Gramm leicht und 50 Zentimeter lang. Eine Stunde blieb den Eltern, das Glück gemeinsam zu geniessen. Dann musste Fabian Knecht das Spital verlassen.
Ruhig starten
«Trotz Auflagen und Limiten spürten wir weder Verdruss noch Wut», erinnert sich Ellis Gottfried. Einige Monate sind seit der Geburt verstrichen. Die kleine Malou hat an Gewicht zugelegt, die ersten Löffel Brei ausgespuckt und entdeckt, dass es im Spielzelt von Bruder Louie besonders gemütlich ist. Ellis Gottfried sagt: «Wir waren einfach nur froh, dass Malou gesund zur Welt gekommen war.»
Mit den besonderen Umständen rund um Malous Geburt haben sich die jungen Eltern ausgesöhnt. «Die Restriktionen hatten für uns auch positive Seiten», sagt Ellis Gottfried und erinnert sich an ihre erste Geburt vor zwei Jahren. Damals lag sie in einem Dreibettzimmer; wegen der vielen Gäste ihrer Zimmernachbarinnen und von ihr selbst herrschte ein ständiges Kommen und Gehen.
Nach Malous Geburt war es anders: Ellis Gottfried hatte wie alle Frauen auf der Wochenbettabteilung ein Einzelzimmer, und über der Station lag eine ungewohnte Stille. «Nur Malou und ich – das war bezaubernd und sehr erholsam», erzählt Ellis Gottfried.
Ganz entspannt
So erlebten es auch andere Frauen in der Schweiz. Andrea Weber-Käser: «Viele Mütter erzählen, wie sehr sie den ungestörten Start als Familie geschätzt haben.» Wegen des Besuchsverbots habe der Fokus ganz und gar auf dem Wochenbett gelegen – mit erfreulichen Auswirkungen: entspanntere Mütter, ausgeglichenere Säuglinge, weniger Stillprobleme. Auch viele Väter, die meisten im Homeoffi ce, hätten von den besonderen Umständen profi tiert: «Manch ein Mann war erleichtert, in der Nähe seiner Familie sein zu können – ohne schlechtes Gewissen und ohne Angst vor einer Kündigung », sagt Andrea Weber-Käser. «Ich hoffe, diese positiven Erfahrungen sprechen sich herum.»
Doch es gab auch negative Erfahrungen. «Insbesondere Erstgebärende waren verunsichert», sagt Andrea Weber-Käser. «Und wer nach dem Wochenbett bei der Betreuung und Unterstützung auf die Grosseltern gesetzt hatte, geriet plötzlich in Not.»
Kennenlernen auf Distanz
Die drei Tage im Wochenbett bekam Ellis Gottfried niemanden anderen zu Gesicht als Malou, ihren Mann und das Spitalpersonal. Nur einmal meldete sich doch Besuch an: Ellis Gottfrieds Mutter, die im Spitalpark ihren Hund Gassi führte. Da trat Ellis Gottfried mit Malou auf den Balkon ihres Zimmers und präsentierte stolz ihr Mädchen der noch stolzeren Grossmama.
Alle anderen sahen Malou vorerst nur auf Fotos und in Videos – auch Bruder Louie. Als Fabian Knecht ihm ein Bild zeigte, runzelte der Zweijährige die Stirn. Dass das Menschlein auf dem Bildschirm seine Schwester ist, realisierte er erst Tage später auf dem Heimweg vom Spital. Louie gab Malou die Hand und liess sie die ganze Fahrt nicht mehr los.
ÖKK ELTERN – für einen guten Start
Eine Familie zu gründen, ist ein grosser Schritt. Die Zusatzversicherung ÖKK ELTERN ist eine ideale Begleiterin für werdende Eltern und junge Familien.
Sie leistet grosszügige Beiträge für Geburtsvorbereitungs- oder Rückbildungskurse, Familienzimmer, Stillgeld sowie ärztlich verordnete Haushaltshilfe nach der Geburt.
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Sicher verbunden
Auch für Fabian Knecht begann erst daheim das Kennenlernen so richtig. Er, der als Bauführer eines Gartenbauunternehmens sonst von Baustelle zu
Baustelle zog, verbrachte wegen des Lockdowns so viel Zeit zu Hause wie noch nie. Das kam der Familie zugute: «Malou und ich konnten nachholen, was die ersten Tage nach der Geburt zu kurz gekommen war», sagt Fabian Knecht. «Bald waren wir uns ganz nahe.»
Bruder Louie kriecht ins Spielzelt, kuschelt sich an seine Schwester und gibt ihr einen Kuss. Ist das ein Lächeln, Malou? Ganz sicher ist es Glück.
Experteninterview mit Entwicklungspsychologin Brigida Lorenz
Brigida Lorenz, während des Lockdowns durften Väter ihre Neugeborenen nur begrenzt im Spitalbesuchen. Das Bonding, also Verbinden, musste warten.
Ja, und das war bestimmt nicht einfach für die Eltern. Aber um die Bindung zu seinem Baby musste kein Vater bangen. Er konnte die Nähe und Zuwendung nachholen, sobald die Familie vereint war. Es ist nie zu spät, die Bindung zum Kind zu stärken.
Warum ist eine sichere Bindung so wichtig für ein Kind?
Dank ihr erfährt es: Da ist jemand, auf den ich mich verlassen kann, ganz egal, was ich beim Entdecken der Welt erlebe. Diese Gewissheit stärkt das Kind langfristig und unterstützt seine körperliche, seelische, intellektuelle und soziale Entwicklung.
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«Es ist nie zu spät, die Bindung zum Kind zu stärken.»
Was braucht es für eine sichere Bindung?
Ein Kind braucht mindestens eine Bindungsperson. Wenn es die Mutter ist: gut. Wenn es die Mutter und der Vater sind: besser. Aber auch eine andere Person kann eine Bindungsperson sein, es muss nicht einmal jemand aus der Verwandtschaft sein. Wichtig ist ein zuverlässiges Gegenüber, das regelmässig und feinfühlig mit dem Kind Kontakt hat, seine Signale zu deuten versteht, mit ihm spricht, es berührt und beruhigt.
Mütter stehen durch das Stillen oft automatisch dem Kind sehr nahe. Was können Väter tun?
Oft denken Väter, das Kind brauche nur die Mutter, weil sie für die Nahrung sorgt. Aber das stimmt nicht. Für die Kommunikationsfähigkeit und die emotionale Stabilität ihres Kindes sind Väter ebenso einflussreich wie Mütter. Väter können die Bindung stärken, indem sie ihrem Baby so viel Nähe schenken wie möglich, es herumtragen, mit ihm spielen und reden, es wickeln und baden. Die Dauer der gemeinsamen Zeit ist wichtig, deren Qualität aber noch viel mehr.
Brigida Lorenz
Brigida Lorenz ist Entwicklungspsychologin und Präsidentin des Vereins Kind und Bindung Schweiz. Sie wohnt mit ihrer Familie in Malans.