Die Sonne scheint vom Himmel, in der Ferne tost ein Wasserfall und am Hang pfeift ein Murmeltier, das einen flinken Zweibeiner im Talboden entdeckt hat. Das ist Jonas Baumann. Mit schnellen Schritten rennt er über den Trampelpfad. Die Kinder sind im Hort, was es beruflich oder im Haushalt zu erledigen gäbe, kann warten. Jonas Baumann geniesst die kurze Auszeit ganz bewusst. Denn er weiss, was passieren kann, wenn er sich keine Pausen gönnt. Wie damals im Jahr 2017.
Erste Burnout-Symptome
Anfang 2017 ist Jonas Baumann Student an der Fachhochschule in Chur, die Semesterprüfungen stehen an. Gleichzeitig gehört er zum Schweizer
A-Kader der Skilangläufer, ist dreifacher Schweizer Meister und misst sich mit den besten Athleten der Welt. An der Weltmeisterschaft im finnischen Lahti wird er Dreizehnter im Skiathlon und verpasst mit der Staffel nur knapp eine Medaille. Er könnte deshalb enttäuscht sein wie seine Kollegen, das wäre normal als Spitzensportler. Doch das Einzige, was Jonas Baumann spürt, ist, dass er nichts spürt. Dass diese Emotionslosigkeit eine schwere Lebenskrise ankündigen könnte, ahnt der damals 27-Jährige noch nicht.
Weitere Symptome machen sich bemerkbar: Jonas Baumann ist erschöpft und zynisch. Während er sich auf seinen Langlaufski täglich bis zu vier Stunden mit schmerzenden Muskeln und stechenden Lungen durch kalt-graue Landschaften quält, sich aber gleichzeitig auf die anstehenden Prüfungen vorbereiten sollte, stellt er sich die Sinnfragen: Was tue ich hier eigentlich? Und wann hört der Stress endlich auf?
Die Erkenntnis: Es ist Burnout
Trotzdem tritt Baumann Ende März 2017 an der Schweizermeisterschaft im Münstertal über 50 Kilometer klassisch an. Es läuft nicht nach Plan.
Nach etwas mehr als der Hälfte des Rennens tut er, was er noch nie in seinem Leben getan hat: Er gibt auf. Doch selbst jetzt erkennen Jonas Baumann und sein Trainer nichts «Krankhaftes» an der Situation; ein Stimmungstief am Ende einer anstrengenden Saison, das kann schon mal passieren. Einzig Baumanns Freundin ahnt, dass mehr dahintersteckt. Jonas kommt morgens nur mit Mühe aus dem Bett, ist antriebslos, flüchtet sich stundenlang in Bücher. Und er treibt wochenlang keinen Sport, bis ihn seine Freundin zur Erkenntnis bringt: Er braucht Hilfe. Seelische Hilfe.
Eine nachhaltige Burnout-Therapie
Der behandelnde Psychiater diagnostiziert eine Erschöpfungsdepression – eine medizinische Krankheit, während ein Burnout lediglich als Zusatzdiagnose gestellt wird, aber kein eigenständiges Krankheitsbild ist. Sechs Monate lang ist Jonas Baumann in Behandlung, nimmt stimmungsaufhellende pflanzliche Mittel. Vor allem aber lehrt ihn sein Psychiater, seine hohen Ansprüche an sich selbst herunterzuschrauben und besser auf sich selbst zu hören. «Inzwischen habe ich kein schlechtes Gewissen mehr, wenn ich einmal müde oder schlecht drauf bin und weniger trainiere», sagt Baumann. Er hört jetzt zuerst auf seinen Körper und auf seine Seele, erst dann auf den Trainingsplan. Die Therapie ist nachhaltig. Jonas Baumann hat sein Gleichgewicht gefunden. Natürlich trainiert der Spitzenathlet und dreifache Olympiateilnehmer noch immer bis zu 30 Stunden die Woche. Doch der Sport ist heute keine Belastung mehr für ihn, im Gegenteil: Er ist ein wichtiger Schlüssel zum seelischen Gleichgewicht.
Man könnte auch sagen: Jonas Baumann weiss jetzt, was er will – nicht die anderen. Die Langlauftrainings in Skandinavien sind zwar schneesicher, doch die Dunkelheit hat ihm früher jedes Mal aufs Gemüt geschlagen. Also bereitet er sich wenn möglich in Davos auf seine Rennen vor und reist nur für die Wettkämpfe in den hohen Norden. Ballen sich die Verpflichtungen, steckt er sich die Stressphasen zeitlich im Kopf ab und setzt klare Prioritäten. Ganz oben auf seiner Prioritätenliste: seine beiden Töchter.