Der Mythos hält sich hartnäckig: Höherer Reifendruck führt zu weniger Rollwiderstand, was wiederum mehr Schnelligkeit bedeutet. Doch stimmt das wirklich? Welchen Einfluss hat der Reifendruck auf das Fahrverhalten auf dem Bike? Wir klären auf.
Bock uf Bike: Der richtige Reifendruck
Es ist der 8. September 2018. Der Mountainbiker Nino Schurter hebt sein Mountainbike in die Höhe, macht die Welle mit den Zuschauenden und jauchzt vor Freude. Er hat gerade seinen emotionalsten Titel gewonnen: Die Goldmedaille an der Heim-Weltmeisterschaft auf der Lenzerheide. Dieser Sieg kommt nicht von ungefähr: hartes Training, eiserner Wille, viel Disziplin – und der richtige Reifendruck.
Im Vorfeld wurde nämlich mit unterschiedlichen Tests eruiert, mit welchen Reifen und mit welchem Reifendruck Nino Schurter am schnellsten ist. Und die Tests haben Erstaunliches gezeigt: Mit dem richtigen Reifendruck sinkt der Rollwiederstand und der Fahrer wird schneller. Ganze 72 Sekunden Zeitgewinn machte die richtige Wahl der Reifen und der Reifendruck bei Tests auf der Weltcup-Strecke in Lenzerheide aus. Dabei war ein niedriger Reifendruck der ausschlaggebende Faktor.
Aber auch für die Breitensportler*innen hat der richtige Reifendruck viele Vorteile. Diese stellen wir Ihnen im Folgenden vor.
Der Rollwiderstand entsteht zwischen dem Veloreifen und dem Untergrund. Viele Radsportler*innen sind der Meinung, dass ein hoher Reifendruck, also ein stark aufgepumpter Pneu, automatisch zu weniger Rollwiderstand führt. Das gilt jedoch nur für Labor-Bedingungen – sprich wenn der Untergrund ganz flach und glatt ist. Auf den Trails sieht das anders aus.
Ein hoher Luftdruck bewirkt beim Biken einen grossen Rollwiderstand. Dies weil mehr Reibung auf dem groben Untergrund entsteht und bei der Überwindung beispielsweise einer Wurzel das ganze Bike und der Körper angehoben wird. So muss ein Teil der vorwärtsbewegenden Energie aufgewendet werden, um diese Hindernis-Überquerung abzufedern, was bremsend wirkt. Wenn der Reifendruck reduziert wird, kann die Wurzel einfacher überrollt werden. Der Reifen «schluckt» bildlich gesprochen diese Wurzel(-passage) und hat eine dämpfende Wirkung. Der Schwerpunkt des Körpers bleibt im Idealfall am gleichen Ort und die vorwärtsbewegende Energie bleibt erhalten. Wie im Video veranschaulicht, herrscht also weniger Widerstand, da der geringere Luftdruck im Reifen diese wettmacht und es so zu weniger bremsender Gegenbewegung kommt.
- Geschwindigkeit: Weniger Reifendruck führt zu weniger Rollwiderstand. Sie können kleine Hindernisse wie Wurzeln, Steine etc. leichter überrollen. Somit sind Sie schneller auf Ihrem Bike unterwegs.
- Dämpfung: Durch den geringeren Druck, dämpft der Reifen die Schläge, wenn Sie über eine unruhige, verwurzelte oder verblockte Passage fahren. Sprich: Es schüttelt Sie weniger durch und bietet so auch höheren Fahrkomfort.
- Spass: Sie werden merken: Mit dem angepassten Reifendruck sind Sie nicht nur schneller, sondern werden auch anspruchsvollere Passagen einfacher meistern.
- Mehr Grip: Da sich der Reifen mit weniger Reifendruck besser dem Untergrund anpassen kann, erhält er bessere Griffigkeit auf dem Untergrund und Sie rutschen mit den Rädern weniger weg. Sie haben mehr Kontrolle über Ihr Bike.
70 % der Biker*innen fahren mit einem zu hohen Reifendruck (häufig 3 bar oder gar mehr). Dass die Reduktion des Reifendrucks sinnvoll ist, haben die obengenannten Vorteile und die Erklärungen im Video gezeigt.
Der optimale Reifendruck hängt aber von vielen verschiedenen Faktoren ab. Entscheidend ist zum Beispiel das Gewicht der Person, die Beschaffenheit und Art des Reifens, der Untergrund, auf dem man vor hat zu fahren und auch das Fahrkönnen. Spitzenathlet*innen fahren in der Regel mit einem Reifendruck zwischen 1,1 bis 1,3 bar. Das ist aber nur möglich, da sie präziser fahren und ihre Räder spezielle Reifen-Inserts drin haben, die den Reifen zusätzlich vor Durchschlagslöchern schützt.
Die Expert*innen von Swiss Cycling empfehlen deshalb als groben Orientierungswert für Hobbysportler*innen mit ca. 70kg Körpergewicht 1,7 bis 1,8 bar.
Versuchen Sie es aus! Fahren Sie dieselbe Strecke mehrmals mit verschiedenen Reifendrucke und Sie werden schnell die Unterschiede bemerken.
Wenn Sie ganz genau ausrechnen wollen, welcher Reifendruck für Sie ideal ist, dann gibt es verschiedene Reifendruck-Rechner im Netz. Zum Beispiel den von Schwalbe.